Wohin führt der Nahostkonflikt?

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Zwei Bücher aus einem Verlag, deren Sichtweisen und Argumentationen unterschiedlicher nicht sein könnten: Noam Chomskys "Keine Chance für Frieden" und Alan Dershowitz' "Plädoyer für Israel".

Beide Parteien im Nahostkonflikt, Israelis wie Palästinenser, schrieb kürzlich der israelische Historiker Moshe Zimmermann, hielten sich selbst für den kleinen schwachen David und den Gegner für den übermächtigen Goliath. Dasselbe gilt auch für die Unterstützer der beiden Parteien.

Der Linguist Noam Chomsky sieht sich seit Jahren im Gegensatz zum Mainstream der amerikanischen Presse - gerade auch wenn über den Nahostkonflikt schreibt. Und der Anwalt Alan Dershowitz sieht den Staat Israel in der selben Öffentlichkeit ungerechtfertigten Verurteilungen und "beispiellosen Doppelstandards" ausgesetzt. Der Europa Verlag hat nun zeitgleich zwei Bücher von den beiden amerikanischen Autoren herausgebracht: So gegensätzlich wie ihre Wahrnehmung der Diskussionslage, so gegensätzlich ist ihre Einschätzung der Nahostpolitik.

Keine Alternative

Aber - um die Pointe vorwegzunehmen - beide geben vor, dasselbe zu wollen: Zu einer Zwei-Staaten-Lösung mit einem Israel in den Grenzen von vor 1967 gebe es keine realistische Alternative.

Beide Autoren liefern keine umfassende Geschichte des Nahostkonfliktes, sondern Streitschriften, die an den Stellen eingreifen, wo die Autoren Handlungsbedarf sehen. Chomsky sieht wie immer den größten Feind daheim: Letztlich seien die wechselnden amerikanischen Regierungen daran schuld, dass es keinen Frieden in Nahost gebe. Sie unterstützten die Haltung der israelischen Regierungen, den Palästinensern einen eigenen lebensfähigen Staat zu verwehren - zwar nicht offiziell, aber faktisch durch die Finanzierung der israelischen Politik.

Duo infernale

Chomskys Hauptwerk zum Nahostkonflikt, aus dem in dem neuen Band einige Kapitel präsentiert werden, heißt im Original "Fateful Triangle" (Verhängnisvolles Dreieck), aber letztlich analysiert Chomsky nur ein "Duo infernale" - nämlich die Politik der amerikanischen und israelischen Regierungen. Die Palästinenser kommen höchstens am Rande vor: Sie sind für Chomsky eher ohnmächtige Davids denn handelnde Akteure. So heißt es bei ihm über die Nahostpolitik der siebziger Jahre nur, dass die plo und die arabischen Staaten sich einer Verständigung angenähert hätten. Die "Bewertung der Aktionen und Programme der plo" spiele keine Rolle.

Da protestiert Alan Dershowitz: Er unterstellt den Arabern, der plo und Jassir Arafat im Besonderen die übelsten Absichten. Die Araber hätten Israel dreimal angegriffen, wollten es vernichten, Arafat sei nicht an einem Frieden gelegen gewesen - den hätte er ja in Camp David im Jahr 2000 haben können.

Unerwähnt bleibt der Flickenteppich unzusammenhängender Gebiete, der Arafat in Camp David angeboten wurde. Stattdessen habe Arafat, so Dershowitz, die Intifada mit vollem Kalkül angestoßen, um mehr zu erreichen als das vermeintlich großzügige Angebot von Ehud Barak. Der ohnmächtige Arafat, im eigenen Lager oft mehr Getriebener als Treibender wird zum mächtigen Goliath. Die Übermacht der Israelischen Armee schrumpft zur besonnenen und völkerrechtlich unbedenklichen Liquidierungen einzelner "Chefterroristen". Die dürfe man laut Kriegsrecht töten, meint der Jurist Dershowitz. Und dass das Kriegsrecht hier gelte, ist ihm klar, schließlich seien "palästinensische Terroristen" feindliche Kombattanten. So einfach kann's gehen. Einen vollständigen Body Count liefert er freilich nicht. Der würde weniger schmeichelhaft für die israelische Armee ausfallen.

Insgesamt muss man sagen, dass Chomsky - trotz der erwähnten blinden Flecken - wesentlich fundierter argumentiert. Wie immer kann er Berge von Belegen beibringen für vergangene und oft auch vergessene Schandtaten. Dershowitz bleibt beim Plädoyerstil, gut zu lesen, aber in den Analogien, die er zieht und mit denen er wertet - höflich formuliert - nicht so präzise wie Chomsky.

Dessen Buch hat allerdings den Nachteil, dass es Texte aus zwei älteren Werken enthält. Die Entwicklung seit Ende der neunziger Jahre wird nur im Vorwort abgehandelt. Zudem ist die Editionspolitik des Europa Verlages verwirrend: 2002 wurde der größte Teil von Chomskys Nahost-Klassiker "Fateful Triangel" übersetzt (unter dem Titel: "Offene Wunde Nahost") - aber nicht komplett, weil das Original zu lang sei, hieß es damals. Nun werden einige nicht übersetzte Kapitel nachgereicht und um ein weiteres nicht übersetztes Kapitel aus einem anderen Buch ergänzt. Warum man die Chomsky-Werke dem deutschsprachigen Publikum nicht im Original-Zusammenhang präsentiert? Vielleicht lässt sich mit dem Häppchen-Chomsky mehr Geld verdienen?

Zuviel David-Imagepflege

Wenn die beiden engagierten Streiter dasselbe wollen, nämlich eine Zwei-Staaten-Lösung, und doch ihre Positionen kaum unterschiedlicher sein könnten, so wirft das ein grelles Licht auf den Nahostkonflikt: Beide Parteien - sowohl die in Nahost wie ihre publizistischen Fürsprecher - pflegen ihr David-Image. Auch wenn angesichts der militärischen und wirtschaftlichen Stärke der Kontrahenten die palästinensische Seite eher Anlass hat, sich als David zu fühlen, so muss man doch fragen, ob diese ausschließliche Selbstwahrnehmung nicht auch ein Teil des Problems ist. Mit anderen Worten: Kommt es hier doch darauf an, nicht nur die Welt zu verändern, das auch, aber sie auch anders zu interpretieren - um dem Frieden näher zu kommen?

Keine Chance für Frieden

Warum mit Israel und den USA kein Palästinenserstaat zu machen ist

Von Noam Chomsky

Europa Verlag, Hamburg 2005

286 Seiten, geb., e 20,50

Offene Wunde Nahost

Israel, die Palästinenser und die US-Politik

Von Noam Chomsky

Aktual. Neuausg., Europa Verlag Hamburg 2003. 358 Seiten, geb., e 15,40

Plädoyer für Israel

Warum die Anklagen gegen Israel aus Vorurteilen bestehen

Von Alan Dershowitz

Mit einem Vorwort von Henryk M. Broder. Europa Verlag, Hamburg 2005

416 Seiten, geb., e 20,50

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