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Die Amerikaner im Kriege

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Im allgemeinen werden die Amerikaner als ein Volk angesehen, das dem Militarismus abhold ist. Gerne betrachtet sich der Amerikaner als disziplinlosen und „freien“ Menschen. Rein äußerlich betrachtet, mag es stimmen. Dennoch aber ist Amerika das Land einer ganz bestimmten Etikette, und der gewiegte Amerikakenner wird Hermann Keyserling zustimmen müssen, wenn er in seinem .Amerika, der Aufgang einer neuen Welt“ seine Charakteristik in dem Ausruf gipfelt: Die meisten Amerikaner wollen gehorchen, wie dies noch kein Soldat jemal getan.“ Vor allem fehlt ihm das Ressentiment gegen den soldatischen Beruf. Von den 32 Präsidenten der Vereinigten Staaten waren nicht weniger als 15 Berufsoffiziere, Reserveoffiziere, die aktiven Dienst gesehen hatten oder ehemalige Beamte im Kriegs- oder Marineministerium. Davon waren 8 Generäle und einer Generalquartiermeister. Und wenn nicht alle Anzeichen trügen, kommt in nicht allzu ferner Zukunft wieder einmal ein General ins Weiße Haus. Das heißt nun aber noch nicht, daß die Amerikaner eine Soldatennation sind.

So besitzt ein demokratischer Staat, wie die USA, nicht nur eine langsame Maschinerie, um einen plötzlichen Angriffskrieg zu beantworten, sondern wird auch überhaupt als Folge des Prinzips der Herrschaft durch die Populärsten nicht immer nach den Regeln der Fachmänner geführt. Dazu kommt auch noch die den Angelsachsen eigentümliche Vorliebe für das Pragmatische und die Empirik. Man läßt die Dinge an sich herankommen — „we cross the brldge when we get to it — „wir gehen über die Brücke, wenn wir an ihr heran sind“, und versucht dann, wenn man das Problem nicht mehr übersehen kann, es durch die endlose Methode des Trial and Error (Versuch und Weiserwerden durch Irrtum) zu lösen. Dies ist ein Verfahren, das in einer gefährlichen Lage den Hals kosten kann. Andererseits hat aber der demokratische Prozeß auch seine großen Vorteile, die durch das starke Stammesgefühl noch erhöht werden. Obwohl der amerikanische Bürgerkrieg, als er stattfand, der verlustreichste aller Zeiten gewesen war (364.000 Tote!), muß jeder amerikanische General sein Äußerstes tun, um größere Verluste zu vermeiden; nicht nur ist es seine oberste Pflicht, den „Stamm“ physisch nicht zu schwächen, sondern im eigenen Interesse soll er es auch vermeiden, sich einer heftigen Kritik des Publikums in der Presse oder gar im Parlament auszusetzen. Eine so sinnlose Knochenmühle wie Verdun im ersten Weltkrieg, hätte die amerikanische öffentliche Meinung nie gestattet; für den Amerikaner ist nur der „billige Sieg“ ein wirklicher Sieg.

Man mag nun darüber vom militärischen Standpunkt voreilig lächeln, aber diese Tendenz ist nicht nur im Lichte christlicher Erkenntnis die einzig richtige, sondern auch von der rein militärischen Warte gesehen. Ein amerikanischer General hält aus Prestigegründen allein nie eine Position. Darum herrscht in der amerikanischen Generalität die sehr weise Grundtendenz, sich nur dann zu schlagen, wenn man nach menschlicher Voraussicht jede Chance hat, zu siegen, das heißt an Soldaten oder Kriegsmaterial, womöglich aber an beidem dem Feind tatsächlich gut überlegen ist. Es zeigt sich auch an der Aufstellung der Kriegsverluste im ersten, besonders aber im zweiten Weltkrieg, in dem die Amerikaner doch an zahlreichen Fronten kämpfen mußten, wie sparsam sie mit dem Menschenmaterial umgingen. Im ersten Weltkrieg verloren sie 40.088 Mann an der Front und 130.000 Mann in den Spitälern, im zweiten Weltkrieg 227.131 Mann in den Kampflinien und auf den Meeren und 39 000 Mann im Hinterland.“ (Hiezu kommen noch über 12.000 Vermißte.) Im Vergleich dazu verloren die Japaner 950.000 Mann allein auf der südpazifischen und mittelpazifischen Front. Zweifelsohne bewährte sich bis jetzt das „amerikanische System“.

Ein amerikanischer General des 19. Jahrhunderts, der gefragt wurde, was denn eigentlich die Essenz der Kriegskunst sei, antwortete m nicht sehr grammatikalischem Englisch: „To get there firstest with the mostest“, das heißt „Zuerst mit dem Meisten dort hinzukommen“. Diese Phrase wird in Amerika so

Im Dienst fielen 175.407 Soldaten der Armee, 34.625 Angehörige der Flotte, 17.099 Männer der Landungstruppen (Marines). oft wiederholt, daß sie selbst bei den Kriegsspielen der Gassenjungen ihre Anwendung findet und beim „hohen Militär“ einer immer größeren Perfektion entgegengeführt wird. Das Gegenstück zu dieser Haltung war in den amerikanischen Massen während des zweiten Weltkrieges zu finden, die gierig das Schlagwort aufnahmen: „We'll outnum-ber and we'll outproduce them“ ... „Wir werden sie zahlenmäßig und produktionsmäßig erdrücken.“ Wir haben doch den Glauben an die Technik und die Produktionsmethoden. Ein wie gefährlicher Gegner Amerika sein kann, erhellt aus der oft vergessenen Tatsache, daß Amerika selbst ohne Landung auf dem europäischen Festland am 6. August 1945 oder einige Tage später durch die Atombomben den Krieg gewonnen hätte.

Trotz der manchmal erschreckenden Kollektivität des Amerikanertums zur

Kriegszeit, herrscht dennoch eine erstaunliche Freiheit der Diskussion. So konnte meine Zeitschrift, die „Catho-1 i c W o r 1 d“, wiederholt gegen die Bombardierung der deutschen Städte schärfstens protestieren. Es wäre auch ein Irrtum, zu glauben, daß der Gebrauch der Atombombe in Japan in den Vereinigten Staaten einen Jubel ausgelöst hätte. Das Resultat war eine unerwartete Bestürzung, und wie man sich von den Briefen in der „New York Times“ überzeugen kann, löste das Schicksal von Nagasaki und Hiroshima eine Flut von Protesten aus. Dennoch darf man aber die einmal entfesselten Kräfte des Kollektivismus in einer demokratischen Gesellschaft nicht unterschätzen. Das Wort des Franzosen bleibt bestehen, der erklärt hatte: „Les democraties n'aiment pas la guerre, mais ils font terriblement la guerre“.

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