Die Beschützer der Vergessenen

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Die Meinungsfreiheit ist das Kernrecht der demokratischen Gesellschaft. Wo es Meinungsfreiheit nicht mehr gibt, ist die Demokratie in Gefahr. Es ist der berühmte Satz von Voltaire, der den Kern der ersten öffentlichen Manifestation der Hilfsorganisation Amnesty International bildet: "Ich verabscheue, was Sie sagen. Aber ich werde das Recht auf Ihre Meinung mit meinem Leben verteidigen.“ Im Mai 1961 tat sich unter diesem Motto eine Gruppe britischer Juristen und Publizisten in London zusammen, um auf jene aufmerksam zu machen, die zu Unrecht in Haft genommen, gefoltert und unterdrückt werden.

Peter Benenson, selbst Anwalt, startete am 28. Mai 1961 mit einem Aufruf, den er im Observer veröffentlichte, die erste Kampagne zum friedlichen Protest gegen Justizversagen und Diktatur. Aus einer U-Bahnzeitung hatte Benenson erfahren, dass das portugiesische Salazar-Regime zwei Studenten verhaften hatte lassen, weil sie in einem Kaffeehaus öffentlich auf die Freiheit anstießen. Benenson war empört und startete einen ersten Appell für die "vergessenen Gefangenen“. "Sie können Ihre Zeitung an jedem x-beliebigen Tag der Woche aufschlagen und Sie werden einen Bericht über jemanden finden, der irgendwo auf der Welt gefangen genommen, gefoltert oder hingerichtet wird, weil seine Ansichten oder Religion der Regierung nicht gefallen.“

Der Aufruf hatte ein enormes Echo. Zeitungen in der ganzen Welt übernahmen Benensons Streitschrift - und verbreiteten seine Strategie. Benenson zielte nicht auf den Heldenmut seiner Anhänger ab. Nicht ziviler Ungehorsam war seine Strategie, sondern die Macht von Briefen und Unterschriften - und der juristische Beistand für die Inhaftierten. Ein Brief allein, so Benenson, genügt vielleicht nicht, um einen unschuldigen Menschen zu retten. Bei hunderten Briefen ist es anders - und wenn ein Gefangener auch noch einen Anwalt stellen kann, dann ist zumindest rechtlicher Schutz der Person hergestellt.

Die Regime sehen sich plötzlich unter dauernder Beobachtung, die Gefangenen haben legale Verbündete, es ist im Ernstfall nicht mehr leicht, sie einfach "verschwinden“ zu lassen.

Das Konzept ist seit 50 Jahren erfolgreich, das wohl auch deshalb weil Amnesty International strikt unabhängig geblieben ist. Die Organisation lehnt staatliche Unterstützung ab und speist seine Aktionen in 157 Staaten allein aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Weltweit hat Amnesty derzeit drei Millionen Mitglieder, die Zahl hat sich nach Organisationsangaben in den vergangenen zehn Jahren sogar mehr als verdoppelt.

Weil das Werk in diesem Fall ebenso viel gilt wie der Gedanke, sei an dieser Stelle auch auf die beiden jüngsten Petitionen verwiesen: Am 14. September 2010 wurde der indische Menschenrechtsaktivist Kartam Joga inhaftiert. Joga hatte seit 2005 Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und Armee dokumentiert. Eine der Anklagen lautet nun auf Zusammenarbeit mit den Maoisten bei Bombenanschlägen sowie Mord an einem Staatsbeamten. Amnesty International geht davon aus, dass die Anschuldigungen politisch motiviert sind. Kartam Joga droht die Todesstrafe. Sudan: Der gewaltlose politische Gefangene Abuzar Al Amin verbüßt derzeit eine zweijährige Gefängnisstrafe. Der Journalist der Tageszeitung Rai Al Shaab war ursprünglich zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, weil er angeblich die "Verfassung unterwandert“ hatte. Er soll gefoltert worden sein.

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