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Was ist los in Nikaragua?

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Durch stark abweichende, mitunter widersprüchliche Nachrichten und Interpretationen über die Vorgänge in Mittel- und Südamerika ist es für den europäischen Beobachter äußerst schwierig, sich ein einigermaßen objektives Urteil zu bilden. Ein Musterbeispiel dafür bietet die Kontroverse über die wirklichen Verhältnisse im mittelamerikanischen Staat Nikaragua. Was ist in diesem Land wirklich los?

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Durch stark abweichende, mitunter widersprüchliche Nachrichten und Interpretationen über die Vorgänge in Mittel- und Südamerika ist es für den europäischen Beobachter äußerst schwierig, sich ein einigermaßen objektives Urteil zu bilden. Ein Musterbeispiel dafür bietet die Kontroverse über die wirklichen Verhältnisse im mittelamerikanischen Staat Nikaragua. Was ist in diesem Land wirklich los?

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Seit Anfang dieses Jahres kursierten in der ausländischen Presse Nachrichten, nach denen in Nikaragua Massenhinrichtungen von Anhängern des gestürzten Somoza-Regimes stattgefunden hätten. Die Gefängnisse seien mit politischen Häftlingen überfüllt und es gäbe eine ganze Reihe von verschollenen Bürgern - hieß es.

All diese Nachrichten standen in scharfem Widerspruch mit den Beteuerungen der Revolutionsregierung, gegenüber den Anhängern Somozas Milde walten zu lassen, Verurteilungen nur durch ordentliche Gerichte durchführen und die Menschenrechte respektieren zu wollen.

Die Informationen über die angeblichen Vergehen der Revolutionsregierung stammten hauptsächlich von dem Rechtsanwalt Jose Gonzalez Rapacci- oli, Koordinator der ständigen Kommission für die Menschenrechte unter dem Somoza-Regime. Diese Kommission wurde seinerzeit mit dem Zweck ins Leben gerufen, die Verbrechen der Somoza-Diktatur anzuprangern, und übte ihre Tätigkeit auch nach dem Machtwechsel weiter aus.

Ende Februar dieses Jahres wurde Rechtsanwalt Gonzalez verhaftet. Es wurde ihm vorgeworfen, seine Organisation arbeite illegal, da sie nicht offiziell registriert ist und außerdem verleumde sie die Revolution in der internationalen Öffentlichkeit.

Tatsächlich wurde jene Menschenrechtskommission, deren Vorsitzender Gonzalez war, nie international anerkannt und ist nicht mit der von den Vereinten Nationen anerkannten Nationalen Menschenrechtskommission identisch.

In einem offenen Brief griffen Ende März auch 68 Priester und Ordensleute sowie 104 in kirchlichen Organisationen tätigen Laien in die Diskussion über die Verhältnisse in Nikaragua ein. Sie betonten unter anderem, daß das Land bereits von Delegationen der Internationalen Juristenvereinigung mit dem Sitz in Genf, von einer Kommission der Menschenrechte in Südamerika und zwei Delegationen von Amnesty International besucht wurde, deren Schlußfolgerungen öffentlich bekannt seien.

Keine dieser Organisationen habe „systematische Menschenrechtsverletzungen“ in Nikaragua feststellen können. Sie beschränkten sich lediglich auf die Empfehlung, daß die für die vom Internationalen Roten Kreuz als „Kriegsgefangene“ qualifizierten Somoza-An- hänger geschaffenen Sondertribunale bald wieder aufgelöst werden sollten.

Diese Spezialgerichte hätten am 17. Februar ihre Tätigkeiten tatsächlich eingestellt. Die Bilanz: es seien 267 Freisprüche und 4.250 Verurteilungen ausgesprochen worden. In 28 Fällen sei das Verfahren noch nicht beendet. Im Zuge von zwei bisherigen Amnesty- Verordnungen seien insgesamt 500 Häftlinge freigelassen worden. Die Freilassung von weiteren 1.000 Häftlin

gen war für Ende März vorgesehen. Somit befänden sich noch etwa 4.300 Personen in Haft.

Nicht geringes Aufsehen erregte eine Erklärung des inhaftierten Rechtsanwaltes Gonzalez, der nun seine vorherigen Vorwürfe in einem Brief an den Obersten Richter seines Kriminaldistrikts zurückgezogen, beziehungsweise stark abgeschwächt hatte.

Er habe die Regierung des Nationalen Wiederaufbaus nie beschuldigt und habe es auch in Zukunft nicht vor, sie hätte Folterungen sanktioniert oder auch toleriert.

Er habe auch die von ihm angegebene Zahl der Häftlinge (8.000) lediglich geschätzt und meine im übrigen, daß es derzeit etwa 4.000 Gefangene in den Haftanstalten des Landes gäbe.

All diese Erklärungen können aber die Stimmen nicht unterdrücken, die den Sandinisten unverhohlenes Machtstreben vorwerfen und dafür auch gewichtige Argumente anführen.

So heißt etwa:

• In Nikaragua herrsche kein demokratischer Pluralismus. Wer könne behaupten, daß die Mehrheit der Nikaraguaner Sandinisten sind? In der Tat sind aber drei der fünf Mitglieder der regierenden Junta Sandinisten. Von 47 Mitgliedern des Staatsrates sind 24 Sandinisten. Dazu kommen noch die Vertreter des Sandinistischen Verteidigungskomitees CDS.

Daß - was den demokratischen Pluralismus betrifft - in Nikaragua nicht alles zum besten bestellt ist, gab vergangene Woche in einer Pressekonferenz in Wien selbst Managuas Außenminister, der Missionspriester Miguel D’Escoto Brockman, unumwunden zu. Aber, so schränkte er ein: Nikaragua habe nie ein demokratisches System gehabt und da gebe es halt Schwierigkeiten, ein solches einzuführen.

• Während des Kampfes gegen So- moza wurde einem jeden Bürger jenes Stück Boden versprochen, den er schon immer bearbeitet, aber nicht besessen hatte. Dieser enteignete Grund (immerhin 45 Prozent des kultivierbaren Bodens in Nikaragua) wurde nun unter den Mitgliedern der Sandinistischen Landwirtschaftsgenossenschaften und der ebenfalls Sandinistischen Landarbeitervereinigung verteilt. Diese Genossenschaften werden von der Nationalbank subventioniert. Wer nicht Mitglied dieser Organisation ist, bekommt keinerlei Hilfe.

• Die Sandinistischen Verteidigungskomitees sind schon von ihrer Struktur her undemokratisch. Sie sollen ja, wie Tornas Borge sagt „Augen und Ohren der Revolution“ sein. Das sind sie auch in der Tat. Wer die wöchentlichen Versammlungen der lokalen Komitees, die der marxistischen Indoktrination dienen, in seinem Sprengel nicht besucht, und bei der Arbeitssuche keine Empfehlung dieser Komitees vorweisen kann, bekommt in Nikaragua keine Arbeit.

• Und die Parteien? In Nikaragua exi

stieren verschiedene Parteien, und eine jede Partei darf ihre eigenen Vereine und Organisationen besitzen. Eine Ausnahme bildet allerdings die „Movimento Democratico Nationale“ des Alfonso Robelo. Weshalb? Weil alle anderen Parteien alt und verbraucht sind und keinen Zustrom zu verzeichnen haben.

Als es dem ehemaligen Junta-Mitglied Alfonso Robelo zum erstenmal gelang, eine starke Oppositionspartei aufzubauen, wurde er mit Morddrohungen bombardiert, zum Vaterlandsverräter gestempelt und mußte schließlich nach Costa Rica flüchten.

• Auch die Kritiker der Verhältnisse in Nikaragua anerkennen die Notwendigkeit und grundsätzliche Richtigkeit der Alphabetisierungskampagne. Doch selbst der Jesuit Ernesto Cardenal, der Leiter dieser Kampagne, gab in einem Brief an Alfonso Robelo, der damals noch Mitglied der Junta war, zü, daß die Alphabetisierungs-Kampagne eine politische Zielsetzung hatte und seitens der Sandinistischen Front zur marxistisch-leninistischen Indoktrination mißbraucht werden sollte.

• Was die Kirche betrifft, verfolgte sie von Anfang an kritisch die Entwicklung im Lande. Sie erinnerte in einem Hirtenbrief vom 17. Oktober 1980 die Regierungsjunta an die düsteren Zeiten unter Somoza, betonte, daß die Revolution von der ganzen Kirche mitgetragen wurde und warnte die Sandinisten, sich in „neue Pharaonen“ zu verwandeln.

Die nikaraguanische Bischofskonferenz hat dieser Tage auch von Geistlichen, die aktiv in der Tagespolitik stehen, die Rücklegung ihrer politischen Ämter verlangt und für den Weigerungsfall Sanktionen angekündigt.

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