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Umbruch in Argentinien

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N. Buenos Aires, Ende Dezember. Eine schwere Krise zieht über Argentinien herauf. Acht Jahre ist es her, daß General Juan Domingo Peron, der sich seinerzeit als Leiter des Staatssekretariats für Arbeit und soziale Fürsorge eine gleichgeschaltete Gewerkschaftsorganisation geschaffen hatte und, auf diese gestützt, bei den Präsidentschaftswahlen alle seine Gegner aus dem Sattel gehoben hatte, in die „Casa rosada“, das argentinische Regierungsund Präsidentschaftspalais, einzog. Das System, das er aufrichtete, trägt an sich Züge, die an den italo-faschistischen Korporativismus Mussolinis erinnern. Aber seine soziale Einstellung war sympathisch, und es diente der Ordnung und dem Frieden des Landes. Die katholische Bevölkerung, eine aktivistische Mehrheit des argentinischen Gesamtvolkes, gewährte dem System des „Peronismus“ eine wachsame Unterstützung. Sie sah Garantien in der persönlichen Haltung des Staatspräsidenten, der wiederholt in programmatischen Erklärungen aussagte, seine Lehre und sein Ziel sei ausgerichtet nach den christlichen Grundsätzen und den Enzykliken Rerum Novarum und Quadragesimo Anno und dem es vom katholischen Volke hoch angerechnet wurde, daß Peron und sein Regime der 1884 erfolgten Laisierung der Schule durch die Wiedereinführung des Religionsunterrichtes ein Ende setzten, Peron 1951 dem Eucharisti-schen Kongreß in Rosario persönlich beiwohnte und ein feierliches religiöses Bekenntnis ablegte, als er 1953 im Namen der argentinischen Nation vor der Marienstatue auf der historischen Plaza Mayo in Buenos Aires das Weihegebet sprach.

Nun aber scheint sich an den obersten Stellen der Staatsmacht ein Stellungswechsel zu vollziehen, der jäh und gewaltsam das innere Leben der Nation angreift. Für denjenigen, der aufmerksam gewisse Zeichen im öffentlichen Leben verfolgte, sind die jetzigen Geschehnisse keine restlose Ueberraschung. Es mußte besorgt machen, daß zahlreiche Ueberläufer aus den aufgelösten kommunistischen Gewerkschaften auch in der peronistischen „Organisation des Volkes“ die höchsten Amtswalterposten erklimmen und Rotspanienkämpfer sogar Führerstellungen in dem Neubau des nach dem faschistischen Muster monopolistischen Gewerkschaftswesens besetzen konnten. Die Parolen des offiziellen Gewerkschaftsbundes, der die Pflichtgemeinschaft aller Arbeiter wurde, erhielten nach und nach einen penetranten Gleichklang mit den hinter dem Eisernen Vorhang und sonstigen kommunistischen Gebilden üblichen Slogans und Kampfrufen. Als aus der Dreigliederung der „Organisation des Volkes“, aus der offiziellen „Männer-und-Frauen-Partei“ wie aus dem Gewerkschaftsbund ein wohlorganisiertes Trommelfeuer von Beschwerden über „klerikale Infiltration“ durch katholische Einschmuggler sich erhoben, hatte sich in Wirklichkeit eine ganz andere Infiltration vollzogen, eine unter allerlei Masken getarnte kommunistische Durchdringung, der die Staatsführung in ihrem sorglosen Machtbewußtsein scheinbar nicht gewahr wurde.

Bei den großzügig aufgezogenen Demonstrationen, die im November über das ganze argentinische Rundfunknetz bis in das letzte Fischerdorf hinausgetragen wurden, wetteiferten die Sprecher der drei Gliederungen der peronistischen Bewegung in leidenschaftlichen Beschuldigungen kirchlicher Einmischung in die souveränen Belange des Volkes. Peron, der selbst im Rahmen dieser Demonstrationen sprach ließ seine Rede in dem Satze gipfeln, für ihn und die Regierung bestünde kein Problem, das zu lösen wäre Er überlasse es dem Volke, „sich mit der Kirche direkt auseinanderzusetzen“. - Wer Zeuge dieser Kundgebung war. der konnte sich ein Bild machen, wer da als „Volk“ zur Entscheidung aufgerufen war. Die an der Spitze einzelner Kolonnen getragenen

Spruchbänder, Sprechchöre usw. enthielten den „Wunschzettel des Volkes“:

Abschaffung des Religionsunterrichtes — dessen Wiedereinführung einer der Ruhmestitel des Peronismus gewesen war —, Aufhebung des Abtreibungsverbotes, Einführung der tolerierten Prostitution, die der Gesetzentwurf über die Prophylaxe darstellte und ähnliche redeten eine nicht mißzuverstehende Sprache. Diese Forderungen wurden erhoben vor dem Staatspräsidenten und vor der ganzen versammelten Regierung. Hätte es noch einer Illustration bedurft, so wurde sie während des Aufmarsches des „werktätigen Volkes“ geliefert: Ein Personenkraftwagen mit einem auf dem Dache montierten Galgen, an dem eine Puppe im Priestergewand baumelte, wurde von den zahlreichen aufgebotenen Polizeimannschaften nicht behindert.

Die Staatsführung beugte sich. Ein Dekret der Regierung widerrief die auf einem „Irrtum“ beruhende Einführung des Religionsunterrichtes als Prüfungsfach in den Schulen, die Religionslehrer wurden entlassen, den privaten katholischen Schulen wurde die staatliche Subvention entzogen. Damit war Punkt 1 der Forderungen des „Volkes“ von seifen der Regierung erfüllt.

Das „Volk“ sprach auch über seine Vertreter im Kongreß. Als in einer Nachtsitzung die Abgeordnetenkammer über eine Gesetzesvorlage zu entscheiden hatte, laut der einige Bestimmungen über das Ehevermögensrecht sowie über Todeserklärungen von Verschollenen abgeändert werden sollten, stellte als Vertreterin des Frauenvolkes die Vorsitzende der peronistischen Frauenpartei, Delia Degliuomini de Parodi, den Zusatzantrag, das kirchlich geschlossene Ehebündnis bei Todeserklärung eines Verschollenen habe bei dessen Rückkehr als aufgelöst zu gelten. Des weiteren soll eine Trennung von Tisch und Bett ein Jahr nach der Urteilsverkündung auf Antrag auch nur eines Ehepartners ohne weitere Prozeßverfahren eine Wiederverheiratung für beide Ehegatten, ohne Rücksicht auf die Schuldfrage gestattet werden. Diese Gesetzesvorlage wurde samt Zusätzen nachts von der Abgeordnetenkammer angenommen, und als sich auf die Kunde von diesem nächtlichen Ereignis der päpstliche Nuntius am nächsten Morgen beim Außen- und Kultusminister anmeldete, behandelte bereits die erste Kammer des Kongresses, der Senat, dieselbe Gesetzesvorlage und paukte sie in drei Stunden durch, so daß die endgültige Abstimmung gerade in dem Augenblick erfolgte, als sich Nuntius Msgr. Zanin mit dem Außenminister Remorino im Gespräch befand.

Auch Punkt 2 des „Volksprogramms“ war hiermit erfüllt. Optimisten hoffen noch auf den Präsidenten, daß er der Eingabe des Episkopats Gehör schenken und von seinem Vetorecht gegen die Ehescheidungsklausel Gebrauch machen werde. Anderseits weist man darauf hin, daß bei der straffen Organisation der peronistischen Bewegung kaum anzunehmen sei, daß die Volksvertreter gegen den Willen des Führers der Bewegung und des Staates gehandelt hätten, als sie das Ehescheidungsproblem ohne Initiative der Regierung angeschnitten hatten.

Auch dem Punkt 3 der „Volkswünsche“ wurde entsprochen. Die Volksvertreter, d. h. die peronistischen Fraktionen beider Kammern, ergriffen die Initiative zur gesetzlichen Regelung des Versammlungs- und Veranstaltungsrechtes; die Regierung stimmt dem zu. Laut bereits angenommener Gesetzesvorlage, der nur noch die Unterschrift des Staatspräsidenten fehlt, bleibt die Ausübung des Kults auf geschlossene Räume beschränkt.

Tief besorgt verfolgt die Masse der Bevölkerung, deren kirchliche Treue bekannt ist, die Vorgänge. Man erinnert sich an die Rede des Staatspräsidenten bei einer Maifeier, als er betonte, die Beispiele Hitlers und Mussolinis seien ihm eine anschauliche Lehre gewesen, er wisse, welche Irrtümer man als Staatsführer nicht begehen darf. Er werde sich hüten, dieselben Fehler zu machen. Wird er zu diesen Vorsätzen zurückfinden?

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