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Ein Lieht wurde ausgeloscht, ein Scheiterhaufen angezundet

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„Die Mörder wollten ein Licht auslöschen, aber sie haben einen Scheiterhaufen angezündet.“ So kommentierte ein Geistlicher von 10.000 Kirchenbesuchern den Mord an dem Oppositionsführer Dr. Pedro Joaquin Chamorro in Nicaragua. Wie recht der Geistliche behalten sollte: Nach dem Todesschuß glich die Hauptstadt Managua einem Hexenkessel, im ganzen Land brach eine Streikwelle los. Geschäfte und Universitäten blieben geschlossen, Fabriken wurden still- und Verkehrssysteme lahmgelegt. Zeitweise waren mehr als die Hälfte aller Berufstätigen des 2,5 Millionen-Volkes von Nicaragua im Ausstand. Politische Beobachter fragten sich, ob damit auch das Ende des diktatorischen Regimes Somoza gekommen sei, das seit 43 Jahren in dieser zentralamerikanischen Miniatur-Republik herrscht.

In der Leidensgeschichte Lateinamerikas spielt Nicaragua eine ganz besondere Rolle. Der mexikanische Politologe Dr. Pablo Gonzales Casanova, Exrektor der „Autonomen Universität“ von Mexiko, hat errechnet, daß es in Lateinamerika zwischen 1800 und 1969 zu 784 Interventionen gekommen ist, von denen 631 auf Rechnung der Vereinigten Staaten gehen. Nach Mexiko und Kuba kommt Nicaragua mit 79 Fällen an dritter Stelle, ein Großteil der Lateinamerikaner wird es in ihrem politischen Bewußtsein jedoch an die erste Stelle reihen. So paradox es klingen mag: Obwohl die Herrschaftsverhältnisse maßlos ungerecht sind, weisen ie eine gewisse „Stabilität“ auf, wenn man bedenkt, daß die Familie Somoza das Land mehr als vier Jahrzehnte ausbeuten konnte, das sie wie einen Familienbetrieb organisiert hatte. Mit der Ermordung des Oppositionsführers Chamorro scheint nun der Untergang der „Dynastie Somoza“ besiegelt.

Dr. Chamorro war eine Ausnahmeerscheinung in Lateinamerika.Zwar wimmelt es auf dem ganzen Halbkontinent von Gegnern der verschiedenen Regime, aber die sind entweder im Exil oder stecken im Gefängnis. Dr. Chamorro, Herausgeber der größten Zeitung in Nicaragua, „La Prensa“, war ebenfalls fünfmal im Gefängnis und dreimal im Exil, konnte während der letzten Jahre dann aber nicht nur in Nicaragua leben, sondern auch die Einheitsfront „Demokratische Union für die Befreiung“ zum Kampf gegen den Diktator General Anastasio Somoza II. organisieren, der Konservative, Liberale und sogar Kommunisten angehören. Zu den bevorstehenden städtischen Wahlen ha-ber außer der Regierungspartei nur die Konservativen Kandidaten angemeldet, theoretisch gibt es aber trotzdem 12 Parteien in Nicaragua, das durch die Diktatur, ausländische Interventionen, politische Attentate und Parteienzersplitterung zu den wunden Stellen des Halbkontinents gehört.

Der Mord an Chamorro - dessen Begräbnis 30.000 Menschen beiwohnten - und die darauffolgenden schweren Unruhen forderten natürlich eine Stellungnahme von Präsident Somoza heraus, der erklärte, daß er mit dem Attentat, welches ein großes Unglück für das Land und die Familie darstelle, nichts zu tun habe. Wenn er Chamorro, den er seit seiner Jugend gekannt habe, umbringen hätte wollen, hätte er bei seinen verschiedenen Aufstandbewegungen Gelegenheit genug dazu gehabt.

Die vier nach dem Mord als Täter verhafteten „Matones“, also Berufskiller, gaben als Hintermänner den Parlamentspräsidenten Cornelio Hueck, den früheren Präsidenten der staatlichen Wohnbaubank Fausto Zelaya und den führenden Industriellen Pedro Ramos Quiroz an. Diese hätten insgesamt 85.000 Dollar aufgebracht, um die Ermordung ihres politischen und persönlichen Feindes Dr. Cha-marro zu finanzieren. Der eigentliche Drahtzieher des Mordes dürfte Pedro Ramos sein, Geschäftsführer von So-mozas Firma „Plasmaferesis“, eine Blutbank, die Landbewohnern billig Blut abzapft und es dann teuer an die Vereinigten Staaten verkauft. Ein Verleumdungsprozeß, den Ramos gegen Chamorro anstrengte, wirbelte in Nicaragua viel Staub auf.

Präsident Anastasio Somoza II. dürfte also persönlich nicht in den politischen Mord verwickelt sein, aber da die Anstifter des Attentats aus Regierungskreisen stammen, ist auch die Position des Diktators noch weiter untergraben worden. Jedenfalls erklärte der Präsident von Costa Rica, Daniel Oduber, daß der Mord an Chamorro ein Schlag gegen die Menschenrechte in ganz Amerika sei, und ein ernstes Klima der Gewalt schaffen könnte.

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