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Öldorado

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Vor drei Jahren besuchte ich Venezuela zum ersten Male. Da ich heuer wieder längere Zeit in Caracas verbringen konnte, hatte ich Gelegenheit, die Situation vor und nach der Revolution zu vergleichen. Damals herrschte noch General Perez Jimenez als Diktator über die sieben Millionen Einwohner dieses bald schon sagenhaften Oellandes an der Nordküste Südamerikas. Das Land war mitten in einer Konjunktur, wie sie noch selten auf der Welt vorgekommen ist. Tag und Nacht wurde gebaut, Straßen, Wohnblocks, Fabriken, kühne Brücken und Kraftwerke. Man arbeitete viel in Venezuela, aber jeder konnte ein wenig von dem Goldregen abbekommen, der auf dieses gottgesegnete Land niederfiel. Täglich landeten Einwandererschiffe in La Guaira. In Caracas fuhren mehr Cadillacs und 300er SL als in irgendeiner anderen Großstadt der Welt.

Heute, nach 4eri Revolution des 23. Jänner 1958, ist diese schwindelerregende Konjunktur etwas zurückgegangen. Man ist unsicher geworden. Die provisorische Militärregierung steht auf schwachen Füßen, jeden Tag droht wieder eine kleine Revolte, ein „golpecito“, wie man zu sagen pflegt. Mit großer Begeisterung hat man am Beginn des Jahres die Befreiung von einer immer mehr spürbar werdenden Tyrannei gefeiert, aber man ist sich bisher noch nicht ganz im klaren, was man nun mit der neu gewonnenen Freiheit anfangen soll.

Die Ereignisse anläßlich des Besuches des nordamerikanischen Vizepräsidenten Richard Nixon haben gezeigt, daß für viele Leute der Länder Südamerikas das Wort Demokratie gleichbedeutend ist mit Riots, Brandschatzung und Plünderung. Wenn man einen dieser guten Patrioten fragt, was er sich eigentlich wirklich unter einer Demokratie vorstellt, wenn er sich schon für einen braven Demokraten ausgibt, so weiß er keine Antwort zu geben. Das Volk wird ja überall von Demagogen mit Schlagwörtern gefüttert und fordert „panem et circenses“. Man darf auch nicht vergessen, daß Venezuela durch seine reichen Erdölvorkommen in allerletzter Zeit erst zu einer Macht aufgestiegen ist, von welcher die armen Kaffeesklaven und halbwilden Andionostämme noch vor zwei Generationen niemals zu träumen gewagt hatten. Die geistige Entwicklung hat der allzu schnell vollzogenen materiellen Entwicklung nicht folgen können, und es wird noch Jahre dauern, diese Diskrepanz zu überbrücken. Hier liegt die große Schwierigkeit, denn ich zweifle noch sehr an der politischen Reife des venezuelischen Volkes.

Am 23. Jänner 1958 also verließ Marco Perez Jimenez das Land und hinterließ ein Chaos, denn selbstverständlich folgten ihm seine Mitarbeiter ins Exil. Dadurch aber mußten sämtliche Aemter im Staat plötzlich neu besetzt werden, und man kann sich vorstellen, daß darauf ein fast vollkommener Stillstand im Betrieb der ohnehin schon sehr schwerfälligen Bürokratie erfolgte. Natürlich hatte sich der ehemalige Diktator persönlich bereichert und auch seine Freunde nicht leer ausgehen lassen. Aber es ging wenigstens etwas vorwärts, und während der acht Jahre seiner Herrschaft wurden die kühnsten Bauvorhaben realisiert, die jemals in so kurzer Zeit in irgendeinem Lande Südamerikas vollendet wurden. Die Autobahn durch die Berge von der Küste nach Caracas, das Kraftwerk am Caronifluß im Urwald, die Seilbahn auf den Avila, die moderne Universitätsstadt und nicht zuletzt die vielen Wohnblocks für Arbeiter, die noch vor kurzer Zeit in Elends-hätten an den Abhängen um die Hauptstadt hausten, sind nur Beispiele. Aber der Diktator hatte auch große Fehler gemacht. Er ließ ein riesiges Stahlwerk errichten, das zu teuer arbeiten wird und wo der Mangel an geschultem Fachpersonal besonders spürbar ist. Dieses Projekt ist aber schon so weit gediehen, daß es von der neuen Regierung fortgesetzt werden muß. Sein Traum war es auch, ein Eisenbahnsystem zu hauen, was in einer Zeit, wo in anderen Ländern die Eisenbahnen langsam unwirtschaftlich geworden sind und aufgelassen werden, wirtschaftlich untragbar ist. Auch hier fehlt es an Fachkräften. Perez Jimenez stellte sich auch gegen die katholische Kirche und machte sich dadurch eine der stärksten Mächte im Land zum Feind. Außerdem versuchte er im Dezember 1957, nach dem Muster Hitlers 1938 in Oesterreich, seine Position durch ein Plebiszit für weitere fünf Jahre zu legalisieren. Dabei hatte er — was einmalig in der Weltgeschichte jstMfin%Uch die -AWJähde Avahfbereehtigt ‘ge5 maöh'f;'-Sö war ‘ die ’ Drktkur s'cfcfießlicEr zö FllV gekdiniriM." .nssnBgsg ü-ms ?.sw

Nach einer provisorischen Junta unter Führung des jungen Konteradmirals Wolfgang Larrazabal — der von den Venezuelern „el guapo“ („der Schöne") genannt wird — ist bei den Wahlen im Dezember der Sozialist Betaucourt zum neuen Präsidenten gewählt worden. Nach der Revoulution kamen alle von Perez Jimenez exilierten politischen Führer nach Caracas zurück und begannen alsbald ihre Parteien neu zu organisieren. Die linksgerichteten Elemente sind in der Ueber- zahl, und auch die intellektuellen Kreise rund um die Universität, die auch aktiv zum Sturz des Diktators beigetragen haben, sind stark kommunistisch orientiert. Erstaunlich ist auch die Tatsache, daß einige der reichsten und angesehensten Leute des Landes Kommunisten sind und sich auch öffentlich als solche ausgeben.

Die Gewerkschaften haben sich wieder gebildet und stellen große Forderungen. Kollek- tivvertragsverhandlungen, mit Großbetrieben sind in vollem Gange. Nach der Befreiung ist Venezuela wieder dem Internationalen Arbeitsamt (ILO) beigetreten. Lohnerhöhungen müssen zugestanden werden, was sich automatisch auf das bestehende Preisniveau auswirkt, denn sie ziehen eine Verteuerung der Produktionskosten nach sich. Streiks gehören zur Tagesordnung. Trotz Konjunkturrückgang droht dem Lande eine Inflation, was ein sonderbares wirtschaftliches Phänomen darstellt. Durch die politische Unrast ist auch die Vergebung von staatlichen Bauvorhaben zum Stillstand gekommen, was sich in großem Maße auch auf die private Bautätigkeit auswirkt, die ohnedies schon durch das mangelnde Vertrauen in die Weiterentwicklung des Landes stark gedrosselt ist. Ein neuer Begriff: Arbeitslosigkeit, ist im Sprachgebrauch aufgetaucht. Bis zum 23. Jänner gab es nur Vollbeschäftigung mit wachsender Zahl der Einwanderer. Heute schätzt man die Zahl der Arbeitslosen in Caracas allein auf 70.000. Daher wurde die Immigration gesperrt.

Trotz aller Gefahren hat Venezuela noch immer große Reserven durch seine schier unerschöpflichen Erdöl- und Erzvorkommen. Die Regierung hat kürzlich eine 250-Millionen- US-Dollar-Anleihe auf zwei Jahre von einem nordamerikanischen Bankkonsortium erhalten, um öffentliche Bauvorhaben auszuführen und so die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

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