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Dschungelkämpfer sind am Ende

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Zwei Dutzend Tote, mehr als einhundert Gefangene, zweitausend Verhaftete und die A usweisung des kubanischen Botschafters aus Kolumbien: Das ist das Ende des M-19- Partisanenabenteuers im Dschungelsüden des Landes und die Bestätigung, daß Lateinamerikas Guerilla hoffnungslos überholt ist.

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Zwei Dutzend Tote, mehr als einhundert Gefangene, zweitausend Verhaftete und die A usweisung des kubanischen Botschafters aus Kolumbien: Das ist das Ende des M-19- Partisanenabenteuers im Dschungelsüden des Landes und die Bestätigung, daß Lateinamerikas Guerilla hoffnungslos überholt ist.

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Vor einem Jahr, als die Fäden des M-19 (benannt „Movimiento 19deAb- ril“ als. Abspaltung von der populistischen Anapo-Partei, die am 19. April 1970 einer Zählmanipulation wegen die Präsidentschaftswahlen verloren hat) bis nach Österreich reichten, sah die Lage noch rosig aus:

Als am 27. April 1980 die M-19-Be- setzer der dominikanischen Botschaft in Bogota nach Wochen mit den Geiseln nach Kuba ausflogen - Österreichs Vertreter, Botschafter Dr. Edgar Sel- zer, war schon vorher freigehandelt und Österreich als Asylland an'geboten worden -,-sprachen sie von Sieg. Sie hatten Besetzung und langwierige Verhandlungen diszipliniert durchgehalten und einiges für inhaftierte Gesinnungsgenossen erreicht.

Was sie jedoch wirklich erreicht hatten, war damals noch nicht sichtbar: die Entschlossenheit der Militärs, von der zivilen Regierung unter Präsident Julio Caesar Turbay Ayala am Eingreifen in der Botschaft gehindert, keine weiteren Demütigungen hinzunehmen.

1957 bis 1959, als Fidel Castro die Dschungel-Guerilla in der kubanischen Sierra Maestra praktizierte, sah die Zukunft anders aus. Sein Sieg führte zum Aufflackern von Guerillabränden in ganz Lateinamerika.

Der französische Literat Regis De- bray lieferte mit dem Band „Über die Guerilla“ die Theorie dazu: nicht die moskauorientierten kommunistischen Parteien, sondern die Kampfzellen würden die Revolution bringen.

Die sogenannte „Fokustheorie“ war geboren. Und Ernesto „Che“ Guevarra ließ seinen Ministerposten in Havanna sein und engagierte sich nach einem Afrika-Abstecher 1967/68 in Bolivien, um die Theorie in die Praxis umzusetzen.

Allein, die lateinamerikanischen Ar meen waren längst in die Dschungelkriegschulen der USA gegangen und hatten ihre Lektionen rasch begriffen: die Praktikanten der Fokustheorie rannten in die Sackgasse der Gegenguerilla und viele wie „Che“ in den Tod.

Ende 1960 entwickelte sich eine andere Guerilla. In Chile, Uruguay, Argentinien und Brasilien wurde der Stadtkleinkrieg gepflegt. 1969 und 70 gab es einige spektakuläre Siege der Stadtguerilla. Uruguay schien damals reif für die Hände der „Tupamaros“.

Für die Theorie hinter der - noch - erfolgreichen Praxis sorgte ein grünäugiger brasilianischer Riese, der Mulatte Carlos Marighela. Sein „Handbuch der Stadtguerilla“ wird übrigens auch von der europäischen Anarchistenszene benützt.

Aber die reife Frucht Uruguay fiel nicht: lateinamerikanische Polizeiapparate knackten mit einer bis dahin auf dem rebelliönsfreundlichen Subkontinent unbekannten Grausamkeit in der Folter die Stadtzellen des Untergrunds, Marighela wurde 1970 erschossen.

Ende der siebziger Jahre spielte die klassische Guerilla keine wesentliche Rolle mehr.

Heute sprechen die jungen Theoretiker, die „Terceristas“, von ihrem dritten Weg: nicht die Brennpunkte, die Zellen der „Fokustheorie“ im Dschungel oder in der Stadt können die Revolution bringen, sondern nur der jahrzehntelange Volkskampf als Zusammenschluß aller oppositioneller Kräfte. Nikaragua hat die Praxis bereits bestätigt.

Dennoch glaubte ausgerechnet im wenigstens formal nach demokratischen Regeln regierten Kolumbien die Aktionsgruppe M-19, das Rad der Geschichte zurückdrehen zu können.

1979 kam es zur ersten Aktion, die an den Nerven der Militärs zerrte: in der Neujahrsnacht holte sich der M-19 durch einen Tunnel 4800 Stück Waffen aus einer Elitekaserne im Norden Bogotas. Die Reaktion der gereizten Armee: Hunderte vorübergehend oder auch für längere Zeit in Militärhaft ge haltene Sozialwisse.nschaftler, Künstler, Priester und Gewerkschafter.

Die Antwort des seit 1979 wegen der zahlreichen Verhaftungen mit einiger Sympathie umgebenen M-19 war die Botschaftsbesetzung Ende Februar 1980, um politische Gefangene freizupressen.

Obwohl das Geplante nicht erreicht worden war, stieg der glatte Verlauf den Aktionisten in den Kopf:

• Einer der Chefideologen, Jaime Bateman, nützte das Amnestieangebot von Staatschef Turbay und drängte in die Legalität zurück, um bei den kommenden Präsidentschaftswahlen zu kandidieren . .. (angesichts der nachfolgenden Ereignisse ist er allerdings bis heute nur über die Medien mit der Öffentlichkeit in Verbindung).

• Die aggressiven Basiszellen der Bewegung waren über Batemans friedfertigen Ausstieg so empört, daß sie mit der Ermordung des ÜS-Bibelforschers Chester Bitterman ihren Kampfeifer dokumentierten.

• Ein weiterer Führer des M-19, der

Arzt und ehemalige Abgeordnete Carlos Toledo Plata, setzte im Gegensatz zu Bateman offen auf die Dschungelguerilla.

Nach mehreren Monaten Kampftraining auf Kuba landete Toledo Anfang März dieses Jahres mit mehr als hundert Mitstreitern - unter ihnen auch „Comandante Uno“, Rosemberg Pabon, und die gesamte Mann- und Frauschaft der Botschaftsbesetzung des Vorjahres - an der kolumbianischen Pazifikküste.

Wie vor 24 Jahren Castro in der Sierra Maestra den Partisanenkrieg initiierte, versuchte ihn Toledo in die Erdölregion am Putuamayo zu tragen. Die Meldungen über die heimgesuchte Provinzhauptstadt Mocoa, in der Bürgermeister und Polizeichef vor den zusammengetriebenen Bürgern erschossen worden waren, gingen um die Welt.

Nach drei Wochen jedoch war der Spuk zu Ende. Ausgelaugt vom unbarmherzigen Dschungel und verfolgt von der bestens trainierten Armee, streckte der M-19 die Waffen (welche die Armee darauf stolz den Journalisten in Bogota vorzeigte).

Die klassische Guerilla hat heute keine Chance mehr.

Präsident Turbay nahm das kubanische Training der Partisanen zum Anlaß, von einer ausländischen Intervention zu sprechen und den kubanischen Botschafter in Bogota unter wenig ehrenden Umständen vor die Türe zu setzen.

Für US-Präsident Ronald Reagan und seinen Außenminister, General Alexander Haig, kam das gescheiterte M-19-Abenteuer wie gerufen: beider brüchiges Argument, die Unruhen in Mittelamerika seien nicht vom unzufriedenen Volk, sondern ausschließlich von Kuba (und damit der Sowjetunion) angezettelt, fand jetzt eine höchst willkommene Bestätigung seitens des loyalen Verbündeten Kolumbien.

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