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Kein Mord ohne Gebet

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Mit einem Amnestieangebot und einer Stärkung der Exe- kutive versucht Kolumbiens neuer Präsident Gaviria den Balanceakt zwischen ko- lumbianischen und amerika- nischen Interessen.

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Mit einem Amnestieangebot und einer Stärkung der Exe- kutive versucht Kolumbiens neuer Präsident Gaviria den Balanceakt zwischen ko- lumbianischen und amerika- nischen Interessen.

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Präsident Cesar Gaviria, der im August sein Amt in Bogota ange- treten hat, nennt die Dinge beim Namen: Die Gewalt drohe das Land mit seinen reichen Begabungen und Ressourcen zu ruinieren. Die Ge- walt des „Narcoterrorismo", der paramilitärischen Organisationen, der Guerillaarmeen, der Todes- schwadronen und der jugendlichen „Sicarios" (gedungene Mörder).

Täglich Dutzende Todesopfer haben bis zum Amtsantritt Gavi- rias die mörderischen Anschläge der Drogenmafia auf den Staat gefor- dert. Jetzt hat Gaviria Jaime Giral-

do, der wie der jugendliche Präsi- dent von der angesehenen Anden- universität in Bogota kommt, zum Justizminister gemacht und mit mehr Geld ausgestattet, um zum Beispiel die kolumbianischen Rich- ter besser schützen zu können. Für alle im Drogenhandel Tätigen gibt eine Amnestie, für jene eine Chan- ce zum Neubeginn, die illegalen Aktivitäten abschwören.

Cesar Gaviria, dessen legeres Auftreten bei seinem Amtsantritt (die beiden Kinder wurden wäh- rend der langen Zeremonie ohne das in Kolumbien obligate Kinder- mädchen von den Eltern selber leid- lich unter Kontrolle gehalten) bei der Oberschicht Kopf schütteln ausgelöst hatte, räumt auch mit anderen alten Gewohnheiten auf:

Die unverbrüchliche Treue Ko- lumbiens gegenüber den USA, die dem südamerikanischen Land im jetzigen Drogenkrieg Kopf und Kragen kostet, wird erstmals von einer Interessenabwägung zwischen denen Kolumbiens und denen der USA begleitet. Jetzt werden Dro- genhändler nicht mehr wie in den beiden vergangenen Jahren au-

tomatisch an die USA ausgeliefert. Zunächst gilt für sie das erwähnte Amnestieangebot. Bei Verhaftung hat der Präsident das letzte Wort, die „discreciön presidential", die entscheidet, ob ausgeliefert wird.

Damit trägt Gaviria der Stim- mung im Lande Rechnung. Die Kolumbianer haben nicht zuletzt beim Freispruch des Drogen kon- sumierenden Bürgermeisters von Washington D. C. mit Ärger erkannt, daß die Amerikaner zwar gegen Kolumbianer, nicht aber gegen eigene Bürger hart durchgreifen.

Auch mit den Guerillaarmeen will der neue Präsident fertig werden. Einen spektakulären Amnestieer- folg erreichte schon sein Amtsvor- gänger: Die nationalkatholische M- 19-Guerilla (FURCHE 14/1990) wechselte im Frühjahr aus dem Untergrund in die Legalität einer wahlwerbenden Partei „Demokra- tische Allianz M-19", die bei den Präsidentschaftswahlen zur dritt- stärksten Partei des Landes wurde. (Der Guerilla-Führer Pizarro, der

den Schritt in die Legalität verhan- delt hatte, wurde als Präsident- schaftskandidat von einem „Sica- rio" erschossen). Oberster der über- lebenden Partisanenführer J. An- tonio Navarro Wolf f dient jetzt dem neuen Präsidenten als Ge- sundheitsminister (was ebenfalls Bogotas ehrwürdige Tradi- tionsfamilien irritiert).

Schwierig ist das Verhandeln mit den anderen Guerillaarmeen. Un- versöhnlich bleibt die ELN-Gue- rilla, die vom spanischen Ex-Prie- ster Perez kommandiert wird. Er- folge aber werden Gavirias unkon- ventionelle junge Unterhändler Rafael Pardo und Jesus Bejarano vielleicht mit den EPL- und den FARC-Gruppierungen (bei letzte- ren trocknen die Mittel aus Moskau aus) ebenso wie mit der indiani- schen Quintin-Lame-Front haben.

Am schwierigsten in den Griff zu bekommen wird aber der Bodensatz der Gewalt sein. Es sind die „Sica- rios", meist jugendliche Auftrags- killer, die aus den Slums von Me-

dellin kommen.

AlvaroTiradoMejia, Kolumbiens respektierter Sozialhistoriker, ar- beitet über diese „Kultur des To- des". Die Kapitale Medellin gehört zur Provinz Antioquia, die tradi- tionell Kolumbiens beste und tüch- tigste Unternehmer stellt und er- folgreich ganze Industriezweige aufgebaut hat, wie etwa eine inter- national konkurrenzfähige Textil- produktion.

Es ist deshalb kein Zufall, daß sich just Antioquias Aufsteiger in den siebziger Jahren des in Mode gekommenen Kokain-Geschäftes bemächtigten. Für die Bandenkrie- ge um Terrain und Belieferung heuerten sie arbeitslose Jugendli- che aus den Vorstädten an, die für ein paar Dollar Mordaufträge aus- führten.

Diese „Sicarios" sind in letzter Zeit außer Kontrolle geraten. Ein guter Teil der etwa 10.000 Ge- walttoten des heurigen Jahres geht auf ihr Konto - und zwar nicht nur auf Auftrag. Denn sie leben in einer „Kultur des Todes", in der man kaum älter als zwanzig wird.

Die Teenage-Killer fahren ab auf Diskotheken, sie verehren Rambo und Schwarzenegger, sie vergöt- tern Kolumbiens Fußballspieler. Und alle lieben sie ihre Mütter, die ihre Söhne unter Slumbedingun- gen durchgefüttert haben. Diesen Müttern zahlen sie gerne den Lebensunterhalt und verwöhnen sie mit teuren Küchengeräten. Vor ei- nem „Arbeitseinsatz" beten siezum heiligen Judas Thaddäus oder zur Jungfrau vom Carmel.

Historiker Ti- rado Mejia sieht es als eine beson- dere gesellschaft- liche Perversion an, daß die stren- ge Arbeitsmoral, die die Provinz Antioquia seit jeher prägt, hier zu einer Attitüde verkommt, in der ein Mordauftrag wie eine ordent- liche Arbeit an- genommen und sorgfältig ausge- führt wird.

„Hacer un tra- bajito" heißt es im Slang von Medellin - eine kleine Arbeit er- ledigen.

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