7025706-1989_11_03.jpg
Digital In Arbeit

Spontaner Haß

19451960198020002020

Plünderungen, Straßenschlachten, Hunderte Tote in Caracas und in der Provinz: Das Entwicklungsmodell derSoziatdemokra- tie Venezuelas liegt in Trümmern.

19451960198020002020

Plünderungen, Straßenschlachten, Hunderte Tote in Caracas und in der Provinz: Das Entwicklungsmodell derSoziatdemokra- tie Venezuelas liegt in Trümmern.

Werbung
Werbung
Werbung

Carlos Andres Perez, Venezuelas Präsident des Erdölbooms in den mittleren siebziger Jahren, wurde im Dezember 1988 mit dem Versprechen, zu den vollen Töpfen seiner ersten Präsidentschaft zurückzukehren, mit absoluter Mehrheit erneut gewählt.

Am 2. Februar trat er - international beklatscht - mit einer pompösen Zeremonie sein Amt an. Am 16. Februar leitete er mit einer diffusen Programmrede die unaufschiebbare Sanierung der seit Jahren lahmenden Wirtschaft ein. Erste Maßnahme war das Aufgeben des offiziellen Bolivar-

Kurses, womit die Teuerungen für die importsüchtige Wirtschaft ein setzten.

Am 23. Februar dekretierte der neue Präsident, nachdem die öffentlichen Schuldendienste bereits suspendiert waren, auch noch die teilweise Einstellung der Zahlung auf die private Schuld.

Am Sonntag, 26. Februar, publizierten die Tageszeitungen nach der Benzinpreiserhöhung das Anheben der Preise für die Gemeinschaftstaxis und Kleinbusse um 30 Prozent.

Jetzt erst platzte den frustrierten Venezolanern der Kragen — was die schweren Tumulte der letzten Zeit erklärt und die bis zum Jahre 1958 — als Diktator Perez Jimenez stürzte — zurückreichende Stabilitätsperiode des Landes beendete. Jetzt herrscht Ausnahmezustand, und das Sagen hat die Armee.

Wer ist schuld an dem Desaster?

Das offizielle Venezuela sucht die Sündenböcke im Ausland. Unmittelbar vor Ausbruch der Unruhen erklärte der sozialdemokratische Expräsident Jaime Lusinchi, die internationalen Banken hätten ihn hinters Licht geführt. Der neue Präsident nahm

dieses Thema bereitwillig auf und verwies auf die Industriestaaten als Sündenböcke, die Venezuela überfordert hätten.

Tatsächlich liegt die Schuld für den Zusammenbruch des sozialdemokratischen Entwicklungsmodells weitgehend bei den venezolanischen Politikern:

• Die Erträge des Erdölbooms der siebziger Jahre wurden in zu ehrgeizige Schwerindustrieprojekte kanalisiert, zum Teil einfach verschwendet oder schwarz außer Landes geschafft.

• Als 1982/83 die Unhaltbarkeit der Situation deutlich wurde, wertete der damalige christdemokratische Präsident Herrera Campin lediglich den Bolivar ab, wagte aber keine Strukturanpas- sung.

• Amtsnachfolger Jaime Lusinchi von der sozialdemokratischen „Accion Democratica“ ließ die Wirtschaft einfach vor sich hindämmern.

• Carlos Andres Perez wußte, daß er jetzt eine bankrotte Wirtschaft übernahm. Deshalb wollte er die interne Situation schlagartig (und brutal) bereinigen, um sich dann seiner eigentlichen lor-

beerträchtigeren Leidenschaft, der Außenpolitik, zu widmen; etwa dem Friedensprozeß in Mittelamerika oder einer gesamtlateinamerikanischen Linie in der Schuldenfrage.

Indes, diese Rechnung wurde ohne das venezolanische Volk gemacht. Seit 1983 verarmt der Mittelstand, und das soziale Netz wird immer dürftiger. Von 1981 bis 1988 schrumpfte das Pro- Kopf-Einkommen um 14,6 Prozent.

Am 27. Februar rechneten die Zeitungen vor, daß nach der neuen Preiswelle für eine Durchschnittsfamilie solche Vergnügungen wie Autofahren, Kinobesuch und Billigessen in Hamburger-Lokalen unerschwinglich sein würden. Die Redakteure der Tageszeitung „El Diario“ in Caracas empfahlen den Bürgern Daheimbleiben und Fernsehen.

Statt dessen machte sich der Haß spontan auf der Straße Luft. Später wurden Geschäfte geplündert und Straßenzüge verwüstet; nicht nur in Caracas, sondern auch in Provinzstädten des Landes.

Die Regierung erwies sich als unfähig, mit der Lage fertig zu werden, sodaß am zweiten Tag der Unruhen der Ausnahmezustand verhängt wurde und das Militär eingriff. Mehrere hundert Tote sind zu beklagen.

Inzwischen hat Perez einige Maßnahmen zurückgenommen oder abgemildert.

Vor allem wurde die ab 1. März geltende Lohnerhöhu»g für Staatsangestellte auch auf die Privatwirtschaft ausgedehnt. Die Preiskontrollen für Basislebensmittel sollen wieder gelten, und ein Sonderrat soll sich um die Bevölkerung kümmern, die in absoluter Armut lebt.

Ansonsten bleibt Carlos Andres Perez, dessen Charisma zerstört ist, hart.

Nachgeben war ja auch nie seine Stärke: Als Innenminister ließ er in den sechziger Jahren die Guerilla schonungslos nieder- kämpfen.

Allerdings mag ihm das venezolanische Volk in den fünf Jahren seiner zweiten Amtsperiode weit mehr zu schaffen machen als seinerzeit die Sozialpartisanen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung