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Politische Rochaden

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Im nördlichen Südamerika finden dieser Tage politische Rochaden statt, die erfreulicherweise allen Beteiligten die formaldemokratische Basis bestätigen oder sogar verstärken. s In Venezuela übernimmt am 2. Februar Jaime Lusinchi, überzeugender Wahlsieger vom Dezember, die Präsidentschaft. Lusinchi entstammt der Partei Acci-on Democrätica, die Mitglied der Sozialistischen Internationale ist. Freilich handelt es sich um eine sozialdemokratische Variante, die kaum von der Linie der venezolanischen Christdemokraten zu unterscheiden ist. Daß der Christdemokrat Raf ael Caldera so deutlich verlor, hat mit der unrühmlichen Amtszeit seines Parteikollegen Herrera Campins zu tun, der das staatsinterventionistische Wirtschaftsmodell monetari-stisch auflockern wollte.

Jetzt steht der Erdölriese da mit 22 Prozent Arbeitslosigkeit, 40 Milliarden Dollar Außenschuld und einer seit vier Jahren stagnierenden Wirtschaft. Jaime Lusinchi wird das Land jetzt entschiedener auf die staatsinterventionistische Position zurücksteuern.

Außenpolitisch agiert Lusinchi hingegen eher noch vorsichtiger als die Christdemokraten. Vor allem in Sachen Mittelamerika. Lusinchi verstärkt somit den rechten Flügel in der Sozialistischen Internationale, welchen ein tiefes Mißtrauen vor den Sandinistas prägt. Westeuropas Sozialdemokraten werden also in" Caracas keinen einfachen Bundesgenossen vorfinden.

Das Kernproblem, das sofort angepackt werden muß, wurzelt in der Außenverschuldung. Ausgerechnet der Erdölstaat, der an die elf Milliarden Dollar Devisenreserven besitzt, steht praktisch im Schuldenmoratorium. Venezuela ist in diese Sackgasse vor allem aus administrativer Schlampigkeit gerutscht.

Tatsache ist nun aber, daß von der gesamten Außenschuld 25 Milliarden kurzfristiger Natur sind. Das schafft nicht einmal der Erdölstaat, denn schließlich exportiert Venezuela im Moment nicht mehr als 16 Milliarden pro Jahr.

Umschuldungsgespräche müssen also demnächst geführt werden. Allerdings - und das kompliziert die Angelegenheit — will sich Präsident Lusinchi nicht den Auflagen des Internationalen Währungsfonds unterwerfen. Wie Venezuela sich in den nächsten Monaten aus diesem Widerspruch herauswindet, wird zu den interessantesten Entwicklungen Südamerikas zählen.

Immerhin hat sich Jaime Lusinchi bereits getraut, das von seinem Amtsvorgänger eingerichtete Intelligenz-Ministerium aufzulösen. Dementsprechend unorthodox sollte sich Venezuela dem Währungsfonds entgegenstellen.

Der Nachbar Kolumbien verfolgt die Entwicklung in Caracas mit Sympathie. Schließlich ist Kolumbien das einzige Land Südamerikas, das an keinem erdrükkenden Schuldenproblejn zu tragen hat. Deswegen kann sich Präsident Belisario Betancur couragiert einer innen- und außenpolitischen Friedenspolitik widmen. Formell ist Betancur ein Konservativer, doch von seiner Regierungspraxis her wäre er eher als progressiver Christlichsozialer einzustufen.

Am riskantesten ist sein Versuch, die verschiedenen Guerillagruppen des Landes zu einer politischen Amnestie zu überreden. Bis heute hat es noch keinen Durchbruch gegeben. Aber die Gespräche gehen weiter, und die harten Offiziere, die solche Versuche gern sabotieren würden, geraten immer eindeutiger in die Defensive.

Mitte Jänner konnte Präsident Betancur sogar seinen säbelrasselnden Verteidigungsminister General F. Landazabal entlassen und durch den korrekten General Matamoros ersetzen. Kolumbiens politische Amnestie wird außerdem extern eingefaßt, indem Präsident Betancur mit jeder Faser die mittelamerikanische Friedensinitiative der Contadora-Gruppe unterstützt.

In Ekuador wiederum wurde am 29. Jänner gewählt. Daß die Wahl so untadelig vonstatten gehen konnte, geht auf das Verdienstkonto des bisherigen Präsidenten Osvaldo Hurtado. Der junge, fast scheue Christdemokrat, vorher als Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Universität Quito erprobt, rückte 1981 nach dem Unfalltod des damaligen Präsidenten Roldös auf.

Hurtado hat den OPEC-Benjamin Ekuador geschickt durch alle Krisen und Streiks steuern können. Auch für Ekuador wurde der Erdölreichtum fast zum Verhängnis, denn in den siebziger Jahren lernte Quito das Geldausgeben. Zwar verschaffte das dem bescheidenen Land die erste moderne Infrastruktur, doch mit dem Preisverfall beim Erdöl kam auch die Uberschuldungskrise.

Ekuador schuldet — bei einem Exportvolumen von zwei Milliarden pro Jahr — sechs Milliarden. Im Gegensatz zu Venezuela hinterläßt jedoch in Ekuador Präsident Hurtado seinem Nachfolger eine gelungene Umschuldung.

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