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M-19 legt die Waffen nieder

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Der blutigdunkle Alltag Ko- lumbiens, in dem neben der Staatsgewalt rechte Todesschwa- dronen, Rauschgiftringe und linke Guerillagruppen agieren, wird von einer Hoffnung erhellt: Die M-19- Guerilla tritt aus dem Untergrund in die Legalität.

Der noch amtierende Präsident Virgilio Barco versucht, dem mora- lischen und gesellschaftlichen Ver- fall in seinem Lande entgegenzu- treten, indem er wenigstens ein Mosaiksteinchen aus der kolumbia- nischen „Kultur der Gewalt" her- ausbricht. Er veranlaßte die zähen Verhandlungen mit der M-19- Bewegung (die 1980 anläßlich eines Cocktails in der Dominikanischen Botschaft in Bogota unter anderen auch den österreichischen Bot- schafter als Geisel nahm), die zu- nächst zum Waffenstillstand und dann zur Überführung der Gueril- la in die Legalität führten.

Anfang März legten die Unter- grundkämpfer unter den Augen von Vertretern der Sozialistischen In- ternationale in ihrem Hauptlager in Santo Domingo im südwestli- chen Andenland von Kolumbien in einer festlichen Zeremonie die Waffen nieder - als letzter von mehr als 500 Kämpfern und Kämpferin- nen der 38jährige Carlos Pizarro, der die Gruppe in den letzten Jah- ren geführt hat.

Pizarro wird auch weiterhin der Chef der Bewegung bleiben: Aus- gestattet mit der Generalamnestie, dem präsidentialen „indulto", für alle Gesetzesübertretungen wäh- rend des 16jährigen Untergrund- kampfes, ging der M-19 mit der Waf f enniederlegung unmittelbar in eine wahlwerbende Partei über. Carlos Pizarro ist ihr Kandidat für die Präsidentschaftswahlen am 27. Mai, nachdem bereits im März parallel zur Waffenübergabe bei Lokalwahlen kandidiert worden ist.

Kolumbiens Bürger wissen zwar nicht recht, wie sie das surreale Stück Politik, in dem der Präsident einem Guerillachef mit dem Satz „Bürger Pizarro, willkommen in der Demokratie" herzlich die Hand drückt, beurteilen sollen. Schließ- lich gingen auf das Konto der M-19 nicht nur das Festhalten von einem Dutzend Diplomaten 1980, sondern auch blutige Überfälle, Entführun- gen von Industriellen und Groß- grundbesitzern ebenso wie die Besetzung des Justizpalastes, bei der das Militär eingriff, das Gebäu- de an der Plaza mit der Kathedrale von Bogota in Flammen aufging und an die 100 Menschen umka- men.

Dennoch: Die Bürger Kolumbiens sind in der Hoffnung auf ein biß- chen Frieden und in der richtigen Einschätzung, woher ihnen die größeren Gewalttätigkeiten drohen, großzügig. Bereits jetzt verfügt die Partei M-19 über drei gewählte Bürgermeister, und Carlos Pizarro, selber Kandidat bei den Bürger- meisterwahlen in Bogota, schnitt mit zehn Prozent der Stimmen als drittstärkster Kandidat ab.

Tatsächlich hatten Staat und Guerilla den Schritt in die Legali- tät sorgfältig vorbereitet. So wurde im Spätherbst des Vorjahres bei einem Festessen im exklusiven Konferenzzentrum im Herzen von Bogota, zu dem Ex-Präsident Tur- bay Ayala kam, die Sympathie für eine mögliche M-19-Partei mit Erfolg geprüft - eine Sympathie, die sich jetzt bei Lokal-Wahlen bestätigt.

Als letzter Akt der Untergrund- geschichte des M-19 fehlt nur noch die Übergabe jenes Schwertes der Statue des Nationalhelden Simon Bolivar, mit dem 1974 alles begon- nen hatte: an jenem 17. Jänner raubte eine empörte Gruppe Intel- lektueller - mehrheitlich Anthro- pologiestudentinnen, von denen die meisten später in der Guerilla umkamen - das Schwert aus Pro- test gegen den Schwindel, der den Wahlsieg ihres Kandidaten zunich- te gemacht hatte. Dieser Akt wurde der Beginn der Urbanen M-19- Guerilla.

Jenen überlebenden M-19-Leu- ten, die sich jetzt den Mitbürgern als Kandidaten stellen, könnte sich das Leben in der Legalität aller- dings als gefährlicher erweisen, als das in der Guerilla. Denn Politiker linker Parteien sind häufige Opfer der kolumbianischen politischen Alltagsmorde. So wurde dieser Tage auf dem gut überwachten Flugplatz von Bogota der Präsidentschafts- kandidat der Union Patriotica bei hellichtem Tage erschossen.

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