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Dummheit und Blut

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Der gutgesinnte, aber schwache brasilianische Marschall-Präsident Costa e Silva sieht sich in einer ähnlichen Situation wie der milde argentinische Militärdiktator General Ongania. Sie werden von den Offizieren gestützt, regieren aber sonst im luftleeren Raum.

Die Generäle der „harten Linie“ haben in Brasilia den „Rai für nationale Sicherheit“ als Vormund für alle zivilen Ministerien eingesetzt; aber die Stärkung der militfifiscHen Regierungsgewalt, die Brasilien wieder der Militärdiktatur nähert, isoliert die Exekutive noch mehr. Die künstlich konstruierte „Regierungspartei“ „Arena“ zerfällt. Ihr Widerstand gegen die Rolle des Befehlsempfängers, die sie unter Castelo Branco noch bereitwillig spielte, wächst. Die Gewerkschaften dürfen zwar am 1. Mai demonstrieren, aber wieder nur unter „zugelassenen Funktionären“ mit „politischem Unbedenklichkeitszeugnis“ arbeiten. Die Studenten, deren Organisation aufgelöst ist, sind in offenem Aufstand. Die — in Brasilien sehr einflußreiche — Kirche unterstützt sie und erklärt, daß „die allgemeine Unruhe auf die Unzufriedenheit und Verzweiflung zurückzuführen ist, die aus der allmählichen Abschaffung aller verfassungsmäßigen Garantien entstanden ist“. So wird die Macht ohne Konsens des Volkes — ganz gegen die friedlichen Absichten des Präsidenten ausgeübt. In dieses Vakuum suchte der „Gegenspieler“ der Regierung, Carlos Lacerda, vorzustoßen.

Dieser ultrarechte, unbestechliche Journalist, erfolgreicher Exgouverneur des Staates Guanabara (Rio de Janeiro), hat in entscheidendem Maße zum Sturz von drei Präsidenten, Vargas, Quadros und Goulart, beigetragen und zunächst die Revolution von 1964 aktiv gefördert. Aber als Castelo Branco ihn nicht an die Macht ließ, wurde er zum „Feind Nummer eins".

Die konservative Zeitung „O Estado de S. Paulo“, die auch fanatisch für die Revolution gekämpft hatte, schrieb Ende Jänner in großen Schlagzeilen: „Die Krise ist da. 18.000 Mann, Kriegsschiffe und Flugzeuge wurden in Sao Paulo mobilisiert, weil Lacerda heute abend in der Wirtschaftsfakultät reden wird. Auch die Bundespolizei ist mobilisiert. Aber die Offiziere versichern nicht, daß Lacerda verhaftet wird. Der Justizminister garantierte ihm, daß er frei sprechen darf. Eine Tatsache, die das Klima der Krise verstärkt: Senator Carvalho Pinto, der selten Stellung nimmt, bat gestern die Offiziere, in ihre Kasernen zurückzukehren, da es Zeit ist, daß die Zivilgewalt ihre Stelle einnimmt.“

„Korrupte Maffia“

Lacerda nannte die Regierung „eine militärische Partei, die eine Minderheit des Heeres vertritt, illegal und inaktiv ist und nicht weiß, wie sie aus dem Loch, in das sie sich verkrochen hat, wieder herauskommen soll". Er bezeichnte die Revolution von 1964 als eine „Ehe zwischen systematischem Militarismus und einer dekadenten Oligarchie“. Bei anderer Gelegenheit kennzeichnete er die Regierungspartei „Arena" als „korrupte Maffia“ und behauptete, daß Costa e Silva eine „verfaulte faschistische Diktatur“ errichte.

Die brasilianische Presse sagte voraus, daß die Regierung unter dem Druck der „harten Linie“ wieder — wie es unter Castelo Branco geschah — die „politischen Rechte“ ihrer Gegner auf 10 Jahre kassieren und Lacerda auf diese Weise mundtot machen würde. Aber Costa e Silva erklärte, diese Epoche sei vorüber. Stattdessen verbot der Justizminister die „Breite Front“, die Lacerda mit den Expräsidenten Dr. Kubitschek und Goulart gegründet hatte, und drohte damit, Zeitungen und Rundfunkstationen zu schließen, die Erklärungen von ihr wiedergäben. Aber die führende Zeitung „Jornal do Brasil“ brachte die Antwort Lacerdas: die Regierung habe endlich ihr wahres Gesicht der „lügenhaften Revolution“ gezeigt — „eine kleine lateinamerikanische Militärdiktatur, die mit Versprechungen beginnt und in Dummheit und Blut endet“. Gleichzeitig kündigte er die Gründung einer neuen Partei, der „Volksunion“ an. Freilich zeigt das Verbot der „Breiten Front“, daß die Regierung nicht nur die entrechteten Präsidenten an politischer Tätigkeit hindert, sondern auch eine echte „Redemo- kratisierung“, die Lacerda den Weg zu der Präsidentschaft hätte öffnen können, unterbinden wird.

Er ist „Realpolitiker“. Erst hatte er sich mit seinem größten Feinde, Goulart, verbündet. Jetzt fährt er „privat“ nach Paris und Moskau. Dabei hatte er de Gaiulle auf dessen Südamerikareise als Gouverneur in Rio brüskiert, indem er „abwesend“ war. (De Gaulles Ausspruch: „Brasilien ist noch kein ernstzunehmendes Land“ ist dort unvergessen.) Noch erstaunlicher ist, daß der „Antikommunist Nr. 1“, den seine Feinde den „MacCarthy Brasiliens“ nennen, glaubt, in Moskau nützliche Kontakte aufnehmen zu können.

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