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Neue Säbel in Brasilien

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In der abwechslungsreichen Geschichte der 100-Millionen-Nation Brasilien öffnet der Gehirnschlag, der den Präsidenten Marschall Arthur Da Costa e Silva mindestens zeitweise gelähmt hat, ein neues Kapitel.

Im Jahre 1964 hatte das Heer das letzte freigewählte Regime des — rechts und links unpopulär gewordenen — Joäo Goulart gestürzt. Marschall Castelo Branco, der erste Präsident der Revolutionsregierung, war beleidigt, wenn man ihn einen Diktator nannte. Er berief sich auf sein „demokratisches Regime”, auf eine weitgehende Pressefreiheit und die Existenz eines (von ihm manipulierten) Parlaments. Marschall Da Costa e Silva, der 1966 sein Nachfolger wurde, war im Gegensatz zu ihm kein intellektueller Generalstäbler, sondern ein „Mann aus dem Volke”, der sich hochgedient hatte. Er versprach eine „Revolution in der Revolution”, um den Abgrund zwischen Regierenden und Volk zu überbrücken. Aber die „harte Linie” unter den Offizieren behielt die Oberhand. Ein so rechts-nationalisti- scher Mann wie der Innenminister Albuquerque Lima trat im Jahre 1969 mit der Erklärung zurück, die „wirtschaftliche Oligarchie” Säo Paulos, unter deren Einfluß Costa e Silva die Finanzierung der Entwicklungspläne zum Scheitern brachte, habe wieder entscheidenden Einfluß gewonnen, Costa e Silva habe sein Versprechen gebrochen, „die Revolution zu humanisieren”.

Asyl für Folterer

Nach schweren Zusammenstößen zwischen der Militärpolizei und den Studenten in Brasilia erklärte der Abgeordnete Moreira Alvez im Parlament: „Wann wird das Heer auf- hören, das Asyl für Folterer zu sein?” und forderte den Boykott der Militärparade anläßlich des Nationalfeiertages. Als das Parlament in einem letzten Versuch, als zivile Gegenkraft zu wirken, sich weigerte, die Immunität des Abgeordneten aufzuheben, suspendierte Costa e Silva die Legislative auf unbestimmte Zeit und führte mit einem „Verfassungs-Akt” die nicht mehr getarnte Diktatur ein. Er setzte die Entrechtung aller oppositionellen Kräfte fort. Noch im Juli 1969 entzog er 75 weiteren „Gegnern des Regimes” die politischen Rechte auf 10 Jahre, so daß seit Dezember 1968 insgesamt 400 Brasilianer, unter ihnen etwa 100 Parlamentarier, geächtet sind. Fast gleichzeitig wurden 64 Professoren, unter ihnen die be rühmtesten Wissenschaftler des Landes, von den Universitäten Rio de Janeiro und Säo Paulo verjagt. Seit Dezember 1968 erließ Costa e Silva nicht weniger als 250 geigen die Opposition gerichtete Dekrete.

Rückweg zur Demokratie

Nun wollte Costa e Silva gerade ln diesen Tagen zu einem Regime zu- rückftnden, mit dem er den Schein der Demokratie erwecken könnte. Er wollte das stark reduzierte Parlament wieder einberufen und eine neue Verfassung verkünden. Ihre Einzelheiten sind nicht bekannt. Aber sie sollte jedenfalls die Macht der Exekutive im Vergleich zu früheren Verfassungen außerordentlich vermehren und die der Legislative in groteskem Grade beschneiden. Der Verfassungsentwurf ist von dem Vizepräsidenten Pedro Aleixo ausgearbeitet. Er ist ein hervorragender Jurist und Vertrauensmann von Costa e Silva, gilt aber als politisch liberal. So kommt es, daß die Generäle ihm nicht nach der Erkrankung des Präsidenten das Amt überließen, zu dem er 1966, also innerhalb der revolutionären Epoche, vom Kongreß gewählt worden war. Statt dessen hat ein Triumvirat, gebildet aus den Befehlshabern der 3 Waffengattungen, die Staatsgewalt an sich gerissen. Die „Wachablösung” beweist, wie fest die Herrschaft der Militärs in Brasilien geblieben ist. Der Träum von einer auch nur scheinbaren Demokratisierung war kurz.

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