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Gelockerte Zügel

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Europäische Maßstäbe lassen sich nicht auf Lateinamerika und besonders nicht auf Brasilien anwenden. In diesem Riesenland, das zweiund- vierzigmal so groß ist wie die Bundesrepublik, dessen Bevölkerungsdichte hingegen ein Zwanzigstel davon beträgt, und das immer noch mehr als die Hälfte Analphabeten aufweist, gelten andere Gesetze. So ist auch die „Demokratisierung“, die der „neugewählte“ Präsident Emilio Garrastazü-Medici verspricht, mit vielen Fragezeichen zu versehen.

In einer auch füT Lateinamerika ungewöhnlichen Form haben die Offiziere der drei Waffengattungen und dann die Generäle untereinander den Nachfolger des gelähmten Präsidenten Marschall Arthur Costa e Silva so gewählt, als ob sie ein Parlament wären. Die Offiziere haben in Brasilien die drei Elemente der Staatsgewalt usurpiert: An Stelle der Legislative erlassen sie Verfassungsdekrete und wählen de facto den Staatschef. An Stelle der Exekutive üben sie die Polizeigewalt aus, und an Stelle der Justiz entscheidet in fast allen politischen Prozessen die Militärgerichtsbarkeit.

Generalstäbler als Truppenoffiziere

Dabei zeigen sich innerhalb des Offizierskorps ähnliche Spannungen wie zwischen normalen politischen Parteien, freilich mit anderen Ursachen und Wirkungen. So repräsentierte der erste Präsident nach der Revolution von 1964, der inzwischen durch einen Flugzeugunfall ums Leben gekommene Marschall Castelo Branco, eine intellektuelle Schicht von Generalstäblern, die „Sorbonne“ genannt wird. Sie steht in starkem Gegensatz sowohl zu der sogenannten „harten Linie“ der Ultranationalisten wie zu der völlig unintellektuellen Schicht der Truppenoffiziere, aus der sowohl der für amtsunfähig erklärte Marschall Costa e Silva wie sein Nachfolger General Emilio Garrastazü-Medici hervorgegangen sind.

Die „Wahl“ des neuen Präsidenten bedeutete zunächst einen Sieg der Richtung von Costa e Silva. Der neue Präsident gehört au den engsten Freunden des bisherigen, hatte als Kommandant des III. Heeres (in Sao Paulo) eine Schlüsselstellung der Macht und teilte die gemäßigte konservative Richtung seines Vorgängers und dessen Absicht, langsam von der Diktatur zu demokratischen Formen zurückzukehren. Das Triumvirat, bestehend aus den Chefkommandanten der drei Waffengattungen, das unmittelbar nach der Lähmung von Costa e Silva die Macht übernom men hatte, wurde von allen Seiten als unfähig angegriffen und verlor sein Image völlig, als es nach der Entführung des nordamerikanischen Botschafters Eldrick Burke das Ultimatum der Extremisten annahm und seine prominentesten Feinde nach Mexiko abfliegen ließ. Der scharfe Gegensatz nicht nur zwischen den Generälen und den jungen Offizieren, sondern noch mehr zwischen den einzelnen Waffengattungen wird bis zu einem gewissen Grade dadurch überbrückt, daß als Vizepräsident der bisherige Dekan des jetzt abtretenden Triumvirats, Admiral Augusto Rademaker, bestimmt wird.

Beifall der Presse

Garrastazü hat die Freiheit der Presse, der Universitäten, der Gewerkschaften und der Kirche proklamiert, aber auch von der der Parteien gesprochen. Doch handelt es sich dabei um eine Fiktion, denn freie Parteien gibt es schon seit der Revolution von 1964 nicht mehr.

Aber die brasilianische Presse ist von der Haltung des neuen Präsidenten begreiflicherweise begeistert, weil seine Tendenz nicht auf die Verhärtung der Diktatur, sondern auf ihre Auflösung deutet.

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