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Der überraschende Kampf um die Präsidentschaftskandidatur

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Am 13. Oktober dieses Jahres wählt der brasilianische Kongreß den neuen Präsidenten. Völlig überraschend hat sich dabei ein Kampf um die Kandidatur entwickelt. Uberraschend, weil nach den bisherigen Gepflogenheiten des seit 1964 im Amt befindlichen Militärregimes der jeweilige Präsident nach Beratung mit den Generälen seinen Nachfolger bestimmt, den anschließend die hörige und manipulierte Regierungspartei „ARENA“ automatisch zu erküren hat. Erstaunlich an dieser Auseinandersetzung ist außerdem, daß beide Kandidaten zu den Führern der ehemaligen Revolutionsbewegung gehörten.

General Geisel hat - ohne die sonst übliche Befragung - den bisherigen Chef des Geheimdienstes, General Joao Baptista Figueiredo, als Nachfolgekandidaten bestimmt. Der zivile Gegenspieler, Senator Jose de Magal-haes Pinto, reicher Bankier, Ex-Gouverneur und Ex-Außenminister, hat daraufhin keineswegs wie angenommen die Waffen gestreckt, sondern seinerseits den früheren Industrieminister der Geisel-Regierung, Severo Fagündes Gömes, als Vize-Präsidenten aufgestellt. Gleichzeitig hat er ein für Brasilien sensationelles Programm bekanntgegeben. Titel: „Richtlinien für die Demokratie“.

Nach diesem Programm soll zunächst in einer Volksabstimmung festgestellt werden, ob der Präsident, die Gouverneure und Senatoren des bisherigen Regimes im Amt bleiben dürfen. Ihre Wahl soll in Zukunft nicht mehr indirekt, sondern wie früher direkt erfolgen. Alle politischen Gegner - ob entrechtet oder inhaftiert, sollen rehabilitiert, Presse-, Partei-, Vereinsund Gewerkschaftsfreiheit ' wieder hergestellt und das Verbot politischer

Aktivität an der Universität aufgehoben werden.

Der Führer der „ARENA“ im Senat, Enrico Rezende, erklärte dieses Programm für unannehmbar, während ein Abgeordneter derselben Partei (Teho-dulo de Albuquerque) es als „völlig antirevolutionär“ bezeichnete.

Im Gegensatz zu seinem Konkurrenten erklärte General Figueiredo in einem Interview, daß die „politische Öffnung langsam, sicher und gradweise“ vor sich gehen müsse. Bei anderer Gelegenheit meinte er gar, daß ein etwaiger Sieg der Oppositionspartei „MDB“ bei den Parlamentswahlen im November die Normalisierung völlig blockieren könne. Figueiredo lehnt die

totale Amnestie schroff ab. Er ist aber offensichtlich bereit, den Artikel 185 zu ändern, nach dem Personen, denen die politischen Rechte auf zehn Jahre entzogen sind, auch nach dieser Zeit weder wählen noch gewählt werden dürfen. Auch spricht man von einer eventuell individuellen Rehabilitierung des Ex-Präsidenten Janio Quadros.

Weiters würde Geisels Kandidat den berüchtigten „Verfassungsakt No. 5“, demzufolge der Präsident willkürlich und ohne Angabe von Gründen jeden Bürger auf zehn Jahre entrechten kann, aufheben, wenn „die Sicherheit des Staates“ durch neue Gesetze gewährleistet sei. Während Figueiredo früher einem gewissen Parteipluralismus zugestimmt hatte, will er vor den diesjährigen Wahlen dieses Problem nicht erörtern. Wie so viele andere der heutigen lateinamerikanischen Militärregenten nimmt er einen neu geprägten Liberalismus in Anspruch, der in Wirklichkeit autoritär, aber paternalistisch ist.

Die Auseinandersetzung zwischen beiden Präsidentschaftskandidaten läßt viele Rätsel offen. Alle Beobachter stimmen darin überein, daß Geisels Macht in jedem Falle dazu reicht, seinen Kandidaten am 13. Oktober durchzusetzen. Auch Magalhaes Pinto, ein kühler und klarer Rechner, dürfte in dieser Hinsicht keine Zweifel haben. Vielleicht denkt er bereits an die nahe Zukunft. Denn ein gestandener Konservativer mit dem Programm der Oppositionellen mag bei mittelfristiger Planung die ideale Kompromißfigur für Brasilien darstellen. So kann seine Niederlage von heute zum Sieg von morgen führen.

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