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Einsame Guerillas

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Die Ideologie der Guerrilleros läßt sich vor allem deshalb nicht auf einen Nenner bringen, weil sie keinen gemeinsamen haben. Die oft gehörte These, daß die lateinamerikanische Revolutionsbewegung abwechselnd aus Kuba und aus Peking gesteuert wird, ist mit größtem Vorbehalt aufzunehmen. Gewiß erklären sowohl Fidel Castro wie Tschu En-lai, daß sie nationale Befreiungsbewegungen jeder Art begrüßen und fördern. Der einzige ernstzunehmende Versuch einer kontinentalen Organisation war die Konferenz der OLAS (Lateinamerikanische Solidaritätsorganisation mit Kuba), die 1967 in Havanna abgehalten wurde.

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Die Ideologie der Guerrilleros läßt sich vor allem deshalb nicht auf einen Nenner bringen, weil sie keinen gemeinsamen haben. Die oft gehörte These, daß die lateinamerikanische Revolutionsbewegung abwechselnd aus Kuba und aus Peking gesteuert wird, ist mit größtem Vorbehalt aufzunehmen. Gewiß erklären sowohl Fidel Castro wie Tschu En-lai, daß sie nationale Befreiungsbewegungen jeder Art begrüßen und fördern. Der einzige ernstzunehmende Versuch einer kontinentalen Organisation war die Konferenz der OLAS (Lateinamerikanische Solidaritätsorganisation mit Kuba), die 1967 in Havanna abgehalten wurde.

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Wie sehr ihre Wirkung verpufft ist, sieht man in Chile. Allende wollte zeitweise eine OLAS-Filiale in diesem Lande errichten. Er kam davon — längst ehe er Präsident wurde — ab und steht heute in offenem Konflikt mit der MIR („Mo-vimiento de Izquierda Revolucionä-ria“ — „Linksrevolutionäre Bewegung“), deren militärischer Arm die Guerilleros waren. Weder Waffen noch Gelder sind aus Kuba für die Stadtguerilleros in Brasilien, Uruguay und Argentinien zur Verfügung gestellt worden. Vielmehr hat eine führende kubanische Revolutionärin, Haydee Santamaria, sogar während der damaligen OLAS-Kon-ferenz im kubanischen Rundfunk erklärt, daß sich die Guerilleros Geld und Waffen im eigenen Lande erobern müßten. Noch weniger läßt sich eine unmittelbare Einflußnahme Pekings auf die lateinamerikanischen Guerillabewegungen nachweisen.

Als die ekuadorianischen Offiziere den 79jährigen Präsidenten Velasco Ibarra vor wenigen Wochen stürzten, erklärte dieser, es handle sich um unbedeutende „Oberstchen“, die ihr ganzes Leben in der Garnison beim Lesen der Schriften Mao Tse-tungs verbrächten, ohne sie überhaupt zu verstehen. Fast gleichzeitig wurde in Uruguay eine „maoisti-sche“ Terroristengruppe, eine Stiefschwester der „Tupamaros“ („Agru-paciönes Rojas“ — „Rote Zellen“) aufgedeckt. Anläßlich der Nixon-Reise nach Peking erklärte man in Washingtoner Regierungskreisen, Lateinamerika werde einen bevorzugten Platz bei den dortigen Besprechungen einnehmen, Volkschina stütze nicht mehr Guerillabewegungen vom Guevara-Typ. Es ist schwer, diesen Knäuel aus ideologischen und realpolitischen Elementen zu entwirren. Die ekuadorianische Offiziersrevolte hat mit maoistischen Tendenzen überhaupt nichts zu tun. Sie ist eine linksnationalistische Revolution, in der sozialreformerische Töne angeschlagen werden.

Die Proklamationen der Guerilleros beschränken sich im allgemeinen darauf, einen gewaltsamen Sturz der herrschenden Kräfte und den Kampf gegen den nordamerikanischen Imperialismus zu predigen. Man fordert die Zerstörung des Bestehenden — Marighela in seinem „Handbuch der Stadtguerilla“ sogar das Verbrennen der Plantagen —, ohne irgendwelche Pläne für den Aufbau einer neuen Gesellschaft vorzulegen. Das beruht darauf, daß klare Vorstellungen über das, was nach dem Untergang kommen soll, fehlen. Aber es läßt sich nicht bestreiten, daß sich Guerillagruppen „marxistisch“, „trotzkistisch“, „maoistisch“, „peronistisch“ oder „linksnationalistisch“ nennen und daß auch einige aus katholischen Verbänden hervorgegangen sind.

Auf der anderen Seite widersprechen viele dem Personenkult, der mit Fidel Castro und Mao Tse-tung getrieben wird. Man kann deshalb von einer einheitlichen Ideologie der Guerilleros überhaupt nicht sprechen. Wenn die verschieden orientierten Zellen oder gar einzelne Mitglieder innerhalb derselben Organisation ihre weltanschaulichen Gegensätze zu diskutieren begännen, würden sie — wie man in Venezuela, Kolumbien und Bolivien beobachten konnte — sich gegenseitig die Augen auskratzen und durch ihr Sektierertum selbst zerstören.

Auf einem ganz anderen Blatt steht die realpolitische Haltung Pekings zu den Revolutionsbewegungen in den einzelnen Staaten. Moskau hat seit dem Fehlschlag der Prestes-Revolution in Brasilien (1933) revolutionäre Bewegungen erst dann unterstützt, wenn sie — wie in Kuba — Erfolg hatten. Die Sowjets haben sogar der bolivianischen Regierung finanzielle Unterstützung in derselben Zeit gewährt, in der sie Che Guevara bekämpfte. Die moskautreuen kommunistischen Parteien sind angewiesen, sich von den als „Abenteurer“ bezeichneten Guerilleros zu distanzieren. Unter den uruguayischen „Tupamaros“ findet man auch kaum einen früheren Parteikommunisten.

Peking' hat in dem Schlußkommunique nach der Nixon-Reise erklärt, daß es weiter „nationale Befreiungsbewegungen unterstütze“. Das ist für Lateinamerika eine rein theoretische Stellungnahme. Die Ansicht nordamerikanischer Sinologen, nach der sich Peking von den Guerillabewegungen distanziere, stützt sich auf die Erklärungen, die Tschu En-lai dem Botschafter von Ceylon gegenüber abgegeben haben soll. Demnach habe China niemals Revolutionsbewegungen nach kubanischem Muster unterstützt, weil die Guerilleros im Gegensatz zur chinesischen Lehre „das Gewehr vor die Partei stellten“, das heißt, daß die Guerilleros sich nicht als Instrument einer Partei entwickelten und nicht die „Linie der Massen“ befolgten, sondern al^ Elite auftraten.

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