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Bomben gegen Symbole

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Der undiplomatische Ärger Fidel Castros, der nach der. Wahlniederlage der uruguayischen „Breiten Front“ sagte, in Uruguay bleibe also nur der „Weg der Gewalt“, ist in seiner Art begreiflich: Castro hatte eine Expansion seiner „lateinamerikanischen Revolution“ erwartet.

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Der undiplomatische Ärger Fidel Castros, der nach der. Wahlniederlage der uruguayischen „Breiten Front“ sagte, in Uruguay bleibe also nur der „Weg der Gewalt“, ist in seiner Art begreiflich: Castro hatte eine Expansion seiner „lateinamerikanischen Revolution“ erwartet.

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Ob die „Volksfront“ nach chilenischem oder die Guerilla nach kubanischem Vorbild Chancen in Uruguay hat, wird von der Linken In ganz Lateinamerika als beispielgebend für die Aufstandsbewegung auf dem Kontinent angesehen. Diese Alternative wird durch zwei Ereignisse charakterisiert: 2341 Delegierte der Basisgruppen der „Breiten Front“ berieten auf Ihrem „Ersten Nationalkongreß“ bei tropischer Hitze im Stadion des Sportklubs „El Platense“ über die Gründe ihres Mißerfolges, während die linksintellektuelle Terrororganisation der „Tupamaros“ ihren Wahl-Waffenstillstand beendete und das bescheidene Vereinshaus des Golfklubs in dem Montevideaner Stadtteil Punta Carretas anzündete. Die 17 Linksorganisationen und die städtischen Guerilleros haben das gleiche Ziel, „die herrschende Klasse, die Oligarchie, zu stürzen und durch die Herrschaft des Volkes zu ersetzen“. Sie weichen nur in der Methode voneinander ab: die einen wollen rrüt dem Stimmzettel, die anderen mit der Bombe in der Hand siegen. Aber soweit nicht anarchistische Elemente den Ton angeben, ist man sich auch bei den Terroristen darüber im klaren, daß eine Revolution ohne Zustimmung des Volkes verpufft. Der „Nationalkongreß“ nannte es einen relativen Erfolg, daß jeder dritte Montevideaner und Jeder fünfte Uruguayer für die Volksfront gestimmt habe. Aber er gab zu, den „erforderlichen Kontakt mit der Masse des Volkes“ nicht gefunden zu haben.

Nun findet der „zweite nationale Unabhängigkeitskrieg“ gegen die

„imperialistische Ausbeutung“ in Uruguay das schlechteste Pflaster. Vivian Trias, einer der führenden sozialistischen Revolutionäre, schrieb 1960 in seinem Buch „El Imperia-lismo en el Rio de la Plata“ über das Wirken des uruguayischen Sozialreformers Jose Batile y Ordofiez im ersten Fünftel unseres Jahrhunderts: „Renten, Alterspensionen, 8-Stunden-Tag, Sonntagsruhe, Mindestlohn sind die fundamentalen Errungenschaften auf diesem Gebiet. Es handelt sich um die Politik der Konzessionen, die eine fortschrittliche Bourgeoisie in einer Epoche wirtschaftlicher Expansion vornahm ... inspiriert von der Absicht, die sozialen Klassen zu verwöhnen ...“ Die „Breite Front“ predigt die Verstaatlichung der Grundindustrien. Aber es gibt kein lateinamerikanisches Land, in dem sie schon vor 50 Jahren in solchem Maße Wirklichkeit wurde und wohl auch keines, in dem das Versagen der Staatsgesellschaften jedem Bewohner täglich so anschaulich vor Augen geführt wird wie Uruguay. Also bietet das revolutionäre Programm vor allem nur eine neue Schicht führender Männer an. Aber keiner von ihnen genießt auch nur ein Minimum an Popularität, und nichts spricht dafür, daß sich die Uruguayer der Illusion hingeben, die neuen Männer könnten tüchtiger sein als die alten. Das „klassenkämpferische Gewissen“ Ist sehr aktiv, aber nur, soweit es um Lohnforderungen oder andere soziale Errungenschaften geht. Zu der Durchsetzung dieser Ansprüche gibt es die mächtigen Gewerkschaften — und die chronische Streikwelle. Der „Klassenhaß“ findet also nur einen sehr relativen Nährstoff. Nach seiner Mentalität lehnt das in echter demokratischer Tradition aufgewachsene uruguayische Volk den Terror als politische Waffe ab. Es sympathisiert nur zu einem ganz kleinen Teil mit den „Tupamaros“. Diese halten noch immer „Repräsentanten der herrschenden Klasse“ in ihrem „Volksgefängnis“ in Haft. Die ständigen — nur kurz unterbrochenen — Attentate der „Tupamaros“ gehören so zum Montevideaner Alltag wie die sechs täglichen Raubüberfälle auf Kassiere. Mit den Attentaten auf einige „Boites“, in denen die jeuness doree tanzt, und mit der Inbrandsetzung der Gebäude des weder luxuriösen noch exklusiven Golfklubs werfen sie Bomben auf Statussymbole der Oligarchie in Ausbrüchen des Klassenhasses, die von der Masse gefürchtet, aber nicht geteilt werden.

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