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Wind des Peruanismus

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Die antimilitaristischeste Gruppe des Kontinents, die sozialistisch-kommunistische Koalition in Chile, hat nicht nur den Oberstkommandierenden, General Prats, als „rettenden“ Innenminister akzeptiert, sondern auch den Offizieren die Kontrolle über die Wahlregister übertragen. In einem anderen seiner Geschichte und Tradition nach „zivilistischen“ Staat Lateinamerikas, in Uruguay, treten die Offiziere — zum erstenmal nach einem Dreivierteljahrhundert — auf die Vorderbühne der Tagespolitik.

Nun erklärt sich die hervor-

ragende Rolle, die den Generälen in der lateinamerikanischen Innenpolitik zukommt, in erster Linie aus historischen Gründen, aus dem Fehlen organisch gewachsener ziviler Kräfte am Ende der spanisch-portugiesischen Kolonialherrschaft vor 150 Jahren. Vargas und Perön begründeten ihre Herrschaft auf dem Bündnis zwischen Heer und Proletariat.

Aber in den letzten Jahren vollzieht sich eine allgemeine Wendung.

In Brasilien ist das Regime des Präsidenten Garastazü Medici wirtschaftlich gesehen kapitalistisch und sozialpolitisch gesehen paternali-stisch. In Argentinien tritt das auf wirtschaftlichem Gebiet erfolglose Militärregime die Macht freiwillig an „zivile Kräfte“ ab. In Bolivien hat der rechte Flügel des Heeres der linken Gruppe die Macht entrissen. In Peru hat die sich mit starken Personenkult für General Juan Velasco Alvarado legitimierende Militärregierung den ernsthaften Versuch unternommen, die Macht der bisher herrschenden „50 Familien“ zu brechen und moderne Sozialstrukturen zu entwickeln.

Nun kann man nicht sagen, daß das chilenische Heer an der marxistischen Revolution teilgenommen habe. Es hat bei den sehr harten Auseinandersetzungen zwischen der von Allende geführten „Union Populär“ auf der einen Seite, den Christdemokraten Dr. Freis und der vereinigten Rechten auf der anderen Seite eine neutrale Haltung eingenommen, sie aber verlassen, als aus schweren Unruhen ein Bürgerkrieg zu entstehen drohte. General Prats hat dadurch Partei ergriffen, daß er Innenminister der Regierung wurde mit dem Ziel, die verfassungsmäßige Ordnung aufrecht zu erhalten, in deren Rahmen Allende an die Macht gekommen ist.

Noch komplizierter ist die Situation in Uruguay. Die Offiziere haben — nach dem Versagen der Polizei — die Tupamaros mit harter Faust besiegt und dabei engen Kontakt mit fanatischen Sozialreformern gewonnen. Gleichzeitig sehen sie ein wirtschaftliches Trümmerfeld mit einer der höchsten Inflationsraten der Welt (fast 100 Prozent im Jahre 1972) vor sich. Von den lebenswichtigen Krediten, die die „Interamerikanische Entwicklungsbank (BID)“ gewährte, sind aus Nachlässigkeit nur 40 Prozent ausgenützt worden. Die Post streikt, weil die Beamten

im Februar noch nicht ihr Dezembergehalt bekommen haben.

Inzwischen traten die Streitkräfte auf den Plan. Die Chefkommandanten verlangten, daß der Präsident im Rahmen der Gesetze vorgehe. Nun ist dieser nach der Verfassung Chef des Heeres. Die öffentliche Aufforderung stellte also eine Insubordination dar, der der Präsident nicht offen entgegenzutreten wagte. Dies veranlaßte einen der führenden Politiker des Landes, den Senator Dr. Almicar Vasconcellos, zu einer scharfen öffentlichen Erklärung. „Niemand, der nicht feige, bequem oder blind ist, kann ignorieren, daß in unserem Uruguay eine Bewegung im Gange ist, die die legalen Institutionen durch die .Internationale der Säbel' ersetzen will.“ Vasconcellos betonte, daß es sich um einzelne Gruppen innerhalb des Heeres und keineswegs um dessen Gesamtheit handelt, warnte aber vor der Gefahr, daß sich das Machtzentrum verlagern könnte. In einem Antwortbrief an den Senator Vasconcellos bestritt Bordaberry, daß im Heer ein Putschplan bestehe, dem er übrigens unter allen Umständen entgegentreten würde. Tatsächlich liegt die Gefahr, die in Uruguay besteht, nicht darin, daß die Offiziere die Macht ergreifen, sondern daß sie als Pressure Group die Regierung überspielen und so die indirekte Kontrolle der Staatsführung ergreifen könnten.

Erstaunlicherweise sind es in Uruguay Linkskreise, die eine solche Entwicklung begrüßen würden. Die Zeitung der Christdemokraten (die in Uruguay zu der linken „Breiten Front“ gehören), flirtet mit einer „peruanistischen Orientierung“ der uruguayischen Streitkräfte. Zelmar Michelini, ein führender Senator der „Breiten Front“ bezeichnet in der castroistischen Wochenschrift „Mar-cha“ die Haltung der Streitkräfte als völlig berechtigt. Der Wind des Peruanismus weht durch Lateinamerika.

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