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Keine demokratischen Oasen...

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Die Zeitungskonflikte in Argentinien und Peru lenken die Aufmerksamkeit auf die alarmierende Gleichschaltung der öffentlichen Meinung in Lateinamerika. Nur in Venezuela und Kolumbien, die früher jahrzehntelang Schauplatz harter Diktaturen waren, sowie in der einzigen chronischen Oase der Demokratie, in Costa Rica, gibt es zur Zeit totale Pressefreiheit.

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Die Zeitungskonflikte in Argentinien und Peru lenken die Aufmerksamkeit auf die alarmierende Gleichschaltung der öffentlichen Meinung in Lateinamerika. Nur in Venezuela und Kolumbien, die früher jahrzehntelang Schauplatz harter Diktaturen waren, sowie in der einzigen chronischen Oase der Demokratie, in Costa Rica, gibt es zur Zeit totale Pressefreiheit.

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In Brasilien sind nicht nur Nachrichten und Kommentare über innerpolitische Vorgänge verboten Vielmehr erklärt ein Kommuniqu

der Bundespolizei, daß zu den unzulässigen Themen auch „Nachrichten Kommentare, Statistiken, auch hypothetische Informationen über wirtschaftliche Rezession, Studentenbewegungen oder Indianerpolitik“ gehören. „Weiter bleibt verboten“ jede Form von Kritik an der Wirtschaftspolitik, und besonders die Veröffentlichung von Vergleichsdaten über Inflation, Lebenshaltungskosten und Lohn-Anpassung.

Dagegen ist die Einstellung der Zeitung „Correio da Manhä“, einer der großen traditionell liberalen Oppositionszeitungen, die vor allem im Kampf gegen die Diktatur von Vargas Weltruf genoß, nach 73jäh-rigem Bestehen offensichtlich nicht auf politische Gründe, sondern auf Auseinandersetzungen zwischen dem früheren Eigentümer und dem Pächter des Verlages zurückzuführen.

In Chile ist die Verbreitung von Zeitungen, Zeitschriften, Büchern oder Broschüren aller politischer Gruppen, einschließlich der Christdemokraten und der traditionellen Rechtsparteien verboten. Die Linkspresse ist verschwunden. Als der frühere Führer der rechtsextremen Organisation „Patria y Libertad“ („Vaterland und Freiheit“), Pablo Rodrlguez, in dem regierungsfreundlichen Nachmittagsblatt „La Se-gunda“ einen Artikel veröffentlichte, in dem er die Christdemokraten, die in schwankender Haltung zur Regierung stehen, kritisierte, erklärte der Innenminister General Oscar Bonilla. daß die Presse keine noli-

tischen Themen behandeln dürfe, auch nicht, wenn sie dabei die Regierung stütze.

In Uruguay sind fast alle Organe der verbotenen ,3reiten Front“, auch die christdemokratische Wochenschrift „Ahora“ endgültig eingestellt.

Als die Peronisten in Argentinien am 25. Mai 1973 wieder an die Macht gelangten, proklamierten sie mit Nachdruck, daß „wieder eine Epoche der Pressefreiheit“ angebrochen sei. Aber das Idyll dauerte nicht lange. Auf der einen Seite schufen die Guerilleros des trotzkistischen „ERP“ („Ejercito Revolucionärio del Pueblo“ — „Revolutionäres Volksheer“) mit Entführungen und Attentaten ein alarmierendes Klima der Unsicherheit. Gleichzeitig ergab sich

ein blutiger Zwist zwischen der pe-ronistische Jugendorganisation und den Ex-Guerilleros „Montoneros“ auf der einen Seite, und den gemäßigten, von Perön begünstigten Kräften, vor allem dem Gewerkschaftsdachverband „CGT“ auf der anderen. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung wurden die lautesten klassenkämpferischen Rufer, die Tageszeitung „El Mundo“ und die linksperonistischen Wochenschriften „El Descamisado“ und „Militancia“ verboten. Daß auch die Wochenschrift „El Peronista“ das gleiche Schicksal erlitt, weil sie „die Streitkräfte angegriffen hat“, beweist, wie sehr sich Perön nicht mehr als Gegenspieler, sondern wieder als Partner des Offizierskorps fühlt.

Jetzt spiegelt ein neuer Pressekrieg die harten Auseinandersetzungen wider, die sich aus der Wirtschaftskrise ergeben. Der von der „CGT“ und dem von dem Wirtschaftsminister Jose Gelbard geleiteten Verband der kleinen Unternehmer „CGE“ geschlossene „Sozialpakt“ funktioniert nicht mehr. Entgegen der Abrede steigen die Preise. Die Antwort ist eino ™ Streik-

welle für höhere Löhne. Perön macht für sie „die Spekulanten“ verantwortlich, er spricht von einer „psychologischen Kampagne der Massenmedien“ und einem „kontra-revolu-tionären Agitationsplan“. Er beschuldigt die großen Zeitungen, daß kein Tag vergehe, ohne daß eine Katastrophe mit Schlagzeilen angekündigt werde. In diesem Zusammenhang haben peronistische Kreise zum Boykott der großen Bonarenser Morgenzeitung „Clarin“ aufgerufen. Die argentinische Vereinigung der Zeitungsverleger „ADEPA“ warnt in energischen Erklärungen vor dieser Bedrohung der Pressefreiheit.

So wie Perön in Argentinien, sprechen die Präsidenten des Militärregimes in Chile, General Augusto Pinochet, und des linken Militärregimes in Peru, General Juan Ve-lasco Alvarado, von einer „systematischen Kampagne“ gegen das Prestige ihres Landes. In Peru wurde kürzlich das Büro der Nachrichtenagentur „Latin“ geschlossen, einer Organisation, die von den großen Zeitungen des Kontinents gebildet wurde, also ihrer Tendenz nach konservativ war. Am 17. Mai 1974 fand ein Lunch des peruanischen Journalistenverbandes in Anwesenheit von Verlegern statt. Die regierungsfreundliche Linkszeitung „Ex-preso“ schrieb von einem ..Essen der

Infamie und des Verrates“, wobei der Angriff in erster Linie der führenden Illustrierten, „Caretas“' galt. Diese wurde kürzlich verboten, ohne daß ihr die Behauptung unrichtiger Tatsachen vorgeworfen wurde. In dem Dekret des Innenministeriums rügt man vielmehr nur, daß sie „mit Bosheit und Beleidigungen“ operiere. Gleichzeitig wurde einer ihrer Direktoren, der 42jährige Enrique Zi-leri Gibson, ausgewiesen. Die Proteste, die der interamerikanische Presseverband SIP gegen diese wie gegen die früheren Maßnahmen der lateinamerikanischen Regierungen erhob, machten geringen Eindruck.

In ganz Latemamerika ist ein Prozeß genereller Gleichschaltung von Beamtenschaft, Universitäten und Wirtschaftsführung zu spüren, wobei die Presseunfreiheit nur ein Symptom für die wachsende Unduldsamkeit darstellt.

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