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Mord am Fließband

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Innerhalb von 16 Tagen wurden in dem Ort San Nicolas bei Buenos Aires der Arzt Rogelio Elena, Parteigänger der „Radikalen“ (Liberalen), Rodolfo Kusner, Gewerkschaftssekretär der Bauarbeiter, Luis Angel David, Führer der {rechtsradikalen) „Alianza Libertadora Nacionalista“ und der Polizeiagent Blas Udillo ermordet. Der entführte Marineunteroffizier Mario Reduto wurde verstümmelt und tot aufgefunden. Ebenso fand man die Leiche des entführten Generalstabsofflziers Florencio Emilio Crespo. In Buenos Aires wurde der frühere führende Gewerkschaftssekretär Rogelio

Coria auf der Straße erschossen. Dr. Juan Abal Medina, der Bruder eines der Mörder des Expräsidenten Aramburu und vorübergehender Sekretär der Justicialistischen Bewegung während der Präsidentschaft Dr. Cämporas, wurde auf der Straße angeschossen.

Des weiteren wurde der brasilianische Industrielle Jorge Oscar Wahrlich, der der Entführung Widerstand leistete, ermordet. Dieses Schicksal traf auch zwei Polizeibeamte. Nachdem die Petroleumgesellschaft „Esso“ 14,2 Millionen Dollar für die Befreiung eines ihrer Manager, Victor Samuelsson, bezahlt hatte, hielt die Entführungswelle an. Der Fabrikdirektor Enrique Mendelson und andere Unternehmer wurden entführt. Die Betriebe sehen sich in der Regel zu Geheimverhandlungen mit den Terroristen gezwungen, um ihre Manager zu retten.

Dieses Klima der Gewalt, das den Beobachter an die Kämpfe zwischen SA, SS, Stahlhelm, Reichsbanner und Rotfront in der letzten Phase der Weimarer Republik erinnert, entsteht aus verschiedenen sich einander überschneidenden Strömungen. In erster Linie wird der Terror von dem ERP, dem Ejercito Revolu-cionärio del Pueblo, ausgeübt. Diese Gruppe setzt ihren offenen Aufstand, den sie unter den Generalsregierungen der letzten Jahre begann, gegen das „kapitalistische Perön-Regime“ fort. Sie gilt als trotzkistisch^leninistiseh. Man kann aber keinesfalls von einer Fernlenkung dieser Bewegung durch Kuba sprechen. Der fidelistische Einfluß geht um so stärker zurück, als der für die lateinamerikanischen Guerilleros wichtigste Ideologe,Regis Debray, der durch seine Haft im bolivianischen Urwald bekannt geworden ist, das Steuer um 180 Grad herumgeworfen und sich den von den moskautreuen Kommunästen vertretenen marxistischen Standpunkt zu eigen gemacht hat. Der ERP verunsichert das Wirtschaftsleben, weil die Führungskräfte in ständiger Angst leben und vor allem ein beträchtlicher Teil der ausländischen Manager bereits das Land verlassen hat. Trotzdem ist der ERP nur eine Randerscheinung der politischen Kriminalität.

Die wahre Gefahr für die Zukunft Argentiniens ersteht hingegen in der blutigen Auseinandersetzung zwischen der (linksradikalen) „Peroni-stischen Jugend“ auf der einen Seite und den „orthodoxen1“, relativ rechtsgerichteten peronistisöhen Kräften, die vor allem von den „62 Gewerkschaften“ repräsentiert werden. Auf dieser Seite treiben aber auch rechtsradikale „Spezialformationen“ ihr Unwesen. Der Kampf um die Macht in den unteren, mittleren und oberen Gruppen dieser Richtung wird mit den Methoden des Bürgerkriegs geführt. Dabei berufen sich auch die linksradikalen Peronisten auf den Abgott Perön und behaupten, daß er von einer verräterischen Kamarilla vom wahren revolutionären Weg abgebracht worden sei.

Mit Recht schrieb die gemäßigte peronistische Zeitung „La Opiniön“ kürzlich: „In Argentinien gibt es die politische Todesstrafe. Jede Woche erlassen unbekannte Richter Urteile, die von unbekannten Henkern vollstreckt werden.“ Das linksradikale peronistische Wochenblatt „El Des-oamisado“ rechtfertigte die „unsichtbare Volksjustiz“ mit dem Versagen der offiziellen. Offen plädierte die gleichgesinnt Wochenzeitung „El Caudillo“ für den Bürgerkrieg. Sie verglich die augenblickliche Situation Argentiniens mit jener Spaniens vor dem Bürgerkrieg. Der habe zwar eine Million Tote gekostet, doch gebe es in Argentinien auch „eine Million Vivos (Schlaue)“ zuviel. Auf der rechtsradikalen Seite hat im Laufe der Auseinandersetzungen die „Legion Revolucionärda Peronista“ aufgetreten. Sie hat in dem Rahmen des „Consejo Superior justicialista“, also des obersten pero-nistischen Parteiorgans, eine Pressekonferenz abgehalten, in der sie erklärte: „Wir haben eine Philosophie der Geschichte, durch die wir die großen Momente des Nationalsozialismus in Deutschland und des Faschismus in Italien schätzen gelernt haben.“

So ergibt sich das paradoxe Bild, daß Perön zwar die große Mehrheit der Argentinier zu echter Zusammenarbeit geführt und eine ungewöhnlich erfolgreiche Außenpolitik betrieben bat, daß es ihm aber nicht gelingt, die revolutionären Kräfte zu bändigen, die er selbst vor seiner Machtergreifung allzusehr ermutigte.

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