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Die Terror-Ratselei

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Das entstellte Bild, das außerhalb Lateinamerikas häufig über diesen Halbkontinent entsteht, hat vielfache Ursachen. In Argentinien — wie in fast allen lateinamerikanischen Militärdiktaturen — dürften Meldungen über die Guerilla und über Gewaltakte in der Regel nur verbreitet Werden, wenn die Regierung sie offiziell bekanntgibt. Kommentare, die etwa die Richtigkeit dieser Mitteilungen in Frage stellen, würden in aller Regel zur sofortigen Einstellung der Zeitung führen, die sie veröffentlicht. Neben dieser „amtlichen Gleichschaltung“ wird eine ähnliche Wirkung durch die Angst vor Repressalien seitens der Terroristen erzielt. Ein Journalist, der in Buenos Aires eine Guerilla-Aktion aufdeckt, ist somit in doppelter Gefahr. Die Linksterroristen (vor allem die peronististischen „Montoneros“ und der trotzkistische „ERP“) bedrohen sein Leben, weil sie eich „verraten“ fühlen. Gleichzeitig riskiert er, daß ihm die rechtsradikale „AAA“ das Ultimatum stellt, er habe sofort abzureisen, oder daß sie ihn gleich umbringt, mit der Begründung, er habe Kontakt zu den Guerilleros gehabt. Hinzu kommt, daß in Argentinien die Familie nie weiß, ob die Verhaftung durch die legale Militärpolizei, in einer oft durch persönliche Rache verursachten willkürlichen Kommandoaktion, oder durch Terroristen erfolgt ist, die sich als Kriminalbeamte oder Offiziere getarnt hatten.

Auf der anderen Seite weben die politischen Emigranten in Paris oder Stockholm Kombinationen, die auch von den großen Nachrichtenagenturen kritiklos als Realitäten weitergegeben werden. Die lateinamerikanischen Regierungen haben es zuweilen sehr leicht, diese „Greuelnachrichten“ zu widerlegen.

Vor allem wird in diesen von den politischen Flüchtlingen fabrizierten Nachrichten der Hintergrund ebenso verschwiegen, wie die Tatsache, daß ein großer Teil des dargestellten Unrechts nicht auf Anordnung, sondern gegen den Willen der Militärregierungen geschieht. Diesen kann nämlich gewiß niemand vorwerfen, daß sie nicht mit aller — wenn auch in Argentinien ungenügender — Kraft gegen die Linksterroristen vorgingen. Aber die Rechtsterroristen bleiben ungeschoren, obwohl die jetzige argentinische Militärregierung nach den glaubhaften Erklärungen des Präsidenten Videla beide Extreme mit gleicher Intensität bekämpfen will.

Die Ermordung der uruguayischen Politiker- Zelnrar MrcheHne und Hector Gutierrez Ruiz, die in Buenos Aires seit 1973 in Asyl lebten, erregt an beiden Ufern des Rio de la Plata großes Aufsehen. Daß der „ERP“, wie es hieß, sie als „Verräter hingerichtet“ habe, war vom ersten Augenblick an unglaubwürdig. Michelini, ehemals Senator und Minister, war ein typischer Linksintellektueller, der in der „Breiten Front“ eine führende Rolle spielte, ohne sich mit den „Tupamaros“ zu identifizieren, während Gutierrez Ruiz ein prominenter Vertreter der traditionellen „Blanco“-Partei war. Es wäre grotesk, anzunehmen, daß er mit den Linksextremisten etwas zu tun gehabt habe, so daß ihn diese wiederum gewiß nicht als „Verräter“ ansehen konnten. Auf der anderen Seite begreift man nicht, warum die Rechtsextremisten beide ermordet haben sollten, da sich Michelini auf eine sehr vorsichtige journalistische Tätigkeit in der Zeitung „La Opiniön“ . beschränkte und Gutierrez Ruiz Wurstwaren verkaufte.

Ebenso wenig weiß man, ob die „AAA“ für die zehn verstümmelten und gefesselten Leichen verantwortlich ist, die als Strandgut zwischen Rocha (am Atlantischen Ozean) und Colonia (am Rio de la Plata) in Uruguay angeschwemmt wurden. Die offenbar von Emigranten in Paris lancierte Meldung, derzufolge es sich dabei um namentlich genannte „Tupamaros“ handle, konnte der uruguayische Militär-Informationsdienst dadurch widerlegen, daß er eben diese Tupamaros in dem Zuchthaus für politische Gefangene in einem Ort, der paradoxerweise „Libertad“ („Freiheit“) heißt, lebend und gesund vorführte.

Die Terror-Berichterstattung aus und über Lateinamerika entsteht auf einem schmalen Grat zwischen Wissen und Rätselraten.

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