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Einsturz der Peron-Politik

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Juan Domingo Perón führt einen Kampf mit der Kirche. Es ist ein Versuch, die innenpolitisch verfahrene Situation zu retten.

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Juan Domingo Perón führt einen Kampf mit der Kirche. Es ist ein Versuch, die innenpolitisch verfahrene Situation zu retten.

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Die alarmierenden Nachrichten aus Argentinien, die in diesen Tagen die ganze Welt aufhorchen ließen, sind für die Leser der „Furche“ nicht überraschend gekommen. Aus vielen Originalbeiträgen unseres Mitarbeiters in Buenos Aires, die uns bezeichnenderweise in den letzten Wochen nur noch ohne Namenszeichnung erreichten, war die tiefe Sorge über die wachsende Spannung zwischen Staat und Kirche herauszuhören. Immer wieder aber wurde auch die schroffe Schwenkung des Diktators seit dem Tode seiner Gattin Evita mit der einzig möglichen Erklärung zu erhellen versucht, die diese beispiellose politische Abirrung verständlich macht: der Kirchenkampf war der Verzweiflungsversuch Peróns, die unerträglich gewordene, von dunklen Unterströmen unterwaschene innenpolitische und wirtschaftliche Situation durch robuste, „populäre“ Maßnahmen zu „retten“.

Ein Ablenkungsmanöver also, und das denkbar unvernünftigste und unnatürlichste in einem Staate mit so starkem katholischen Bevölkerungsanteil. Sinnfällig daher — allerdings nur in diesem Sinne und nicht in der von einem Teil der Weltpresse angedeuteten gehässigen Deutung der „Vatikanpolitik“ — der zeitliche Zusammenfall der Verlautbarung der Exkommunikation der Perónisten und das Losschlagen der Gegner Peróns.

Nach den letzten Meldungen hat die Niederwerfung der Rebellion der Luftwaffe und der Marine 360 Tote und etwa 1000 Verletzte gefordert. Sechs Kirchen und das Erzbischöfliche Palais in Buenos Aires sind in Flammen aufgegangen.

Perón hat sich in einem Aufruf am 19. Juni von den Kirchenbrandstiftungen distanziert und sämtliche verhaftete Geistliche auf freien Fuß gesetzt. Damit ist vorläufig der Bankrott der bisherigen Politik erklärt. Ob diese Enunziation nur im Augenblick der Notlage erfolgt ist oder eine Gesamtrevision des Perónschen Konzeptes bedeutet, muß noch abgewartet werden.

Fest steht schon heute, daß die Position Peróns schwer erschüttert ist und der Schwerpunkt der Macht augenblicklich bei jenen Militärgruppen des Heeres liegt, die Perón bei der Niederschlagung der Erhebung Assistenz leisteten und nun ihre Rechnung präsentieren. Daran ändern vorläufig auch die Loyalitätserklärungen Peróns gegenüber den Katholiken nichts, zumal der angeschlagene Diktator nach wie vor mit der Gewerkschaft zu operieren scheint.

Argentinien geht offenbar neuen sorgenschweren Tagen entgegen.

Alle Personen, die an den gewalttätigen Liebergriffen gegen die katholische Kirche in Argentinien beteiligt sind, haben „Iatae sententiae“ (ohne besonderes Urteil) die dem Heiligen Stuhl vorbehaltene Exkommunikation erwirkt. Dies erklärt am 16. Juni die Konsistorialkongregation in einer von Kardinal Piazza unterzeichneten und im „Osservatore Romano“ veröffentlichten Erklärung. Die Erklärung bezieht sich auf die einschlägigen Bestimmungen des Kanonischen Rechts, auf die Paragraphen 2 34 3 Absatz 3, 2 334 Abs. 2 und 2 209 Abs. 1 bis 3. Die Paragraphen beziehen sich vor allem auf die Verletzung der kirchlichen Freiheit.

Die Exkommunizierung bedeute nicht den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Vatikan und Argentinien, wurde in der Vatikanstadt erklärt. Die Exkommunizierung sei eine kirchliche, keine politische Maßnahme. Auch pflege der Vatikanstaat nie von sich aus diplomatische Beziehungen zu anderen Staaten abzubrechen. Lieber eine Forderung Peróns, den Apostolischen Nuntius in Argentinien abberufen zu lassen, war nichts bekannt.

Papst Pius XII. empfing am 17. Juni den Weihbischof von Buenos Aires, Manuel Tato, und seinen Provikar, Msgr. Novoa, die nach ihrer Ausweisung aus Argentinien auf dem Luftweg in Rom eingetroffen waren. Der Papst hörte sich ihre Berichte tief bewegt und mit großem Interesse an. Anschließend wurden die beiden Würdenträger von Prostaatssekretär Tardini empfangen.

Der Vatikansender erklärte am Nachmittag des 17. Juni in einer Betrachtung zum Tage: Es schmerzt die Herzen aller Katholiken, wenn sie hören, wieviel Blut gestern in Argentinien vergossen wurde. Es wäre voreilig, jetzt schon zu sagen, ob der Aufstand mit dem Konflikt zwischen Staat und Kirche zusammenhänge oder nicht. Die Kirche, daran erinnert der Vatikansender in diesem Zusammenhang, lehre niemals Gewalttätigkeiten, provoziere sie nicht, noch hetze sie dazu auf. Im Gegenteil, sie verurteile derartiges und halte jeden davon ab, es zu begehen. Der Triumph der Kirche wolle frei sein von jedem Schmutz und jedem Blut.

„Auch im Falle Argentinien konnte und mußte jenes Blutvergießen durch die sorgende Klugheit dessen verhütet werden, der bis gestern noch in alle Winde rief, die Zügel der Nation fest in seinen Händen zu halten“, stellte der Vatikansender fest. Sicher seien die Ereignisse von Buenos Aires nicht, dazu angetan, das Prestige dieser Staatsmänner in der öffentlichen Meinung anderer Nationen zu festigen. Peròn habe nichts anderes getan, als den Pfad aller Kirchenverfolger zu allen Zeiten beschritten. Vielleicht habe er sie nur an Schnelligkeit übertroffen. Die Kirche aber sei nicht gewohnt, Freiheit und Recht an „jeden Hergelaufenen“ zu verkaufen.

Zunächst setze sie ihren Verfolgern in unendlicher Geduld den legitimen Widerstand entgegen, dann aber greife sie zum Bannstrahl der Exkommunikation, besonders dann, wenn die Verfolger sich katholisch nennen. In Argentinien sei der Schnelligkeit der brutalen Schläge der Regierung mit ebenso großer Schnelligkeit die Bestätigung der höchsten Kirchenstrafe, der Exkommunikation, gefolgt. Sie sei eine Waffe und auch wirkkräftig, was auch immer die Laizisten der heutigen Zeit gegen sie behaupten.

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