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Bonaventes Osterpredigt

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Die Grenze zwischen Argentinien und Chile ist eine der längsten Ländergrenzen der Erde. Dennoch ist sie unverteidigt, ohne Forts oder sonstige Befestigungen. Denn hoch auf einem der riesigen Kordillerenkämme, die beide Länder scheiden und verbinden, steht erzgegossen ein Christusbild, Zeuge und Mahnmal des Friedenswillens zweier Völker: Eingeschmolzene Kanonenkugeln sind sein Material. Und die Inschrift zu Füßen des ehernen Standbildes lautet:

„Eher sollen diese Berge zu Staub werden, als daß Argentinier und Chilenen diesen Frieden brechen, in dem sie sich verbunden haben zu Füßen Christi, des Erlösers.“

Daß Völker, deren Grenze beinahe vom Aequator bis zum Südpol reicht, einander vor einem halben Jahrhundert auf solche Art Treue geschworen und bis heute gehalten haben, ist das Werk des Bischofs Bonavente: Nomen est omen. Seine Osterpredigt des Jahres 1900 hat damals die Explosion eines Krieges zwischen Argentinien und Chile verhindert; sein Wort aus Buenos Aires ist Erz geworden und dauert Ohne große Konferenzen, ohne Sitzungen und Waffenhilfsabkommen und ohne Rüstungswetteifer wahren sich die beiden Länder diesseits und jenseits der Anden seit damals den Frieden. Vorgeschichte und Zusammenhänge hier sind einfach, groß und österlich.

Im vergangenen Jahrhundert herrschten zwischen Argentinien und Chile dauernde Meinungsverschiedenheiten und Zusammenstöße, die oft genug auch auf Nachbarstaaten übergriffen. Man verstand einander nicht mehr, und jede Spannung führte zum Kriege. Der Krieg jedoch beschwor nur neue Probleme herauf, die wieder mit Waffengewalt gelöst sein wollten: so gab es hier dauernde Kriegsbereitschaft oder Krieg. Im Jahre 1899 schien der Ausbruch eines neuen Krieges zwischen Argentinien und Chile unausbleiblich. Monate hindurch wurde auf beiden Seiten in fieberhaftem Eifer die Mobilmachung vorbereitet. Und in der Osterwoche des Jahres 1900 hätte die Katastrophe hereinbrechen sollen.

In diesem Augenblick jedoch, da die Spannung am Zerreißen war, hielt Bischof Bonavente seine Osterpredigt, in der er im Namen des auferstandenen Christus sein Volk zu Frieden und Versöhnung rirrf. Der Bruderbischof von Chile übernahm diesen Aufruf, und beide Bischöfe durchreisten nun ihr Land, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, um für den Frieden zu streiten. Freilich wollte anfangs niemand zuhören, nur Frauen und Kinder füllten die Kirchen; bald aber kamen auch Männer, Soldaten, Bauern, Bürger. Und die Kirchen wurden zu klein.

In beiden Ländern, die gleichzeitig zum Kriege rüsteten, betete man für den Frieden. Da mußten. schließlich die kriegslüsternen Regierungen dem Druck der öffentlichen Meinung nachgeben. Argentinien und Chile schlössen Frieden, ehe der Krieg seine Furie losließ. Noch mehr aber taten die Regierungen hüben und drüben: Sie unterzeichneten einen Vertrag, in dem sie gelobten, jede in Zukunft aufkommende Frage nicht durch Waffengewalt, sondern durch Schiedsspruch zu lösen. Kanonen brauchte man nun nicht mehr — sie wurden nach Buenos Aires geschafft und eingeschmolzen. Aus dieser Bronze goß man das Christusbild. Es war nichts Kleines, die Statue ins Gebirge zu schaffen: Soldaten beider Länder stellten sie auf, hoch oben im ewigen Firn, an der Grenze: sie hatten die Uniform angelegt, um einander in Wunden und Tod zu jagen, jetzt aber war ihr Kriegsrock ein Ehrenkleid der Brüderlichkeit, des Friedens geworden. Am 15. März 1904 wurde das Standbild vor Zehntausenden enthüllt. Totenstill war die Menge: Zwei Völker fielen in die Knie, um Gott für den Frieden zu danken, der dauern darf. Wann werden die Anden zu Staub?

Umjubelt hat man die Bischöfe, gepriesen,gefeiert, hochgelobt. Sie aber wehrten ab: Der Sieg war nicht ihrer, er war des Wortes, der Bibel, des Glaubens. Das lebendige Wort Gottes, die frohe Osterbotschaft, der erzgebildete Christus hatte gesiegt. Alles, was zuvor in Friedenssachen unternommen worden war, es hatte nichts gefruchtet; immer heißer haßte man einander, rüstete zum Brudermord, bereitete die Katastrophe vor, zog sie herbei durch Gedanken; Wünsche, Listen, Ideen, Taten, Rüstungsfieber und Rüstungsangst. Aber das lebendige Wort hatte gesiegt. Die beiden Bischöfe, die predigend ihre Länder durchzogen, verspottet und belacht zu Beginn, von Nord nach Süd, von Ost nach West und wieder zurück, am Ende geehrt und triumphal gegrüßt, sie hatten ja nichts anderes gepredigt, als was alle Menschen zu allen Zeiten (mit Ausnahme freilich der Kriegsmacher und Machthungrigen) im Herzen tragen. Schon der Psalmist hat es gesagt: „Ach, daß ich doch hören möge, was Gott der Herr redet, daß Er Frieden zuspricht den Völkern!“ Auf jeder Bibelseite hatten sie gefunden, was dem Frieden dient: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Auf jeder Bibelseite stand die Osterpredigt der beiden Bischöfe. Ging sie nur Argentinien und Chile an?

Wenn Grenzen keine Grenzen mehr sind, sondern nichts als die große Linie des Hände-reichens der Völker, dann mag das einsame bronzene Standbild hoch in den Anden seinen großen Ehrentag begehen.

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