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Um den Frieden

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Die Vororteverträge von Paris nach dem erst« Weltkrieg erwiesen sich allzubald nur als unheilvolle Rüstungspausen. Nichts kennzeichnete die Situation deutlicher, als daß die Friedensbaumeister selbst mit ihrem Werk nicht zufrieden waren. Woodrow Wilson zerbrach daran, Lloyd George warf in einem Buch die Frage auf: Ist wirklich Friede? und Francesco Nitti wurde aus tiefster Besorgnis zum Ankläger.

Als mahnendes Gewissen der Menschheit erhob am Vortag des Weihnachtsfestes des Jahres 1922 der noch im ersten Jahre seines Pontifikats stehende Papst Pius XL seine Stimme, um den Staatsmännern die Not der Völker vor Augen zu führen, die zwar juristisch auf dem Papier „Frieden“ hatten, die aber nach wie vor von schwersten Gegensätzen erfüllt blieben.

Wohl hatte es der Papst wie schon sein Vorgänger Benedikt XV. niemals daran fehlen lassen, „bei den Konferenzen, wo die Sieger-Staaten über, das Schicksal der Völker entscheiden sollten, die Sache der Liebe und Gerechtigkeit zu vertreten, so wie unser Amt es fordert und besonders dafür einzutreten, daß dem Geistlichen vor dem Zeitlichen gebührend Rechnung getragen werde“, dennoch „liegt eines klar vor aller Augen: bis zur Stunde haben weder die einzelnen noch die Gesellschaft noch die Völker nach dem Kriegsunglück den wahren Frieden gefunden.“

Unerschrocken schildert der Papst die Lage der Völker und Staaten und ihre Ursachen.

„In den Ländern, in denen gestern der Krieg wütete, ist die alteFeindschaft keineswegserstorben; im Gegenteil, sie lebt fort und tritt auf, hier in versteckter Form, in der Politik oder im Wirtschaftsleben, un verhüllt in Zeitungen und Zeitschriften.“

„Der internationale Haß und Streit läßt die Völker nicht zur Ruhe kommen; Feindschaft herrscht zwischen den Siegern und Besiegten, ja auch die Sieger sind untereinanderentzweit; die Schwächeren wähnen sich von den Stärkeren übervorteilt und ausgebeutet, die Stärkeren vermeinen, mit Unrecht der Gegenstand des Hasses der Schwächeren zu sein.“

„Je mehr die Heilung sich verzögert, desto mehr verschärfen sich die Übel, besonders da die mehrfachen Versuche und Konferenzen der Staatsmänner über Erwarten erfolglos verliefen. So wächst die Angst vor neuen, noch entsetzlicheren Kriegen und zwingt die Staaten zur Kriegsbereitschaft.“ *.

Wir alle waren Zeugen der Orgien des Hasses, die sich in der ganzen Welt abspielten. Aber nicht nur, daß die Staaten unter-einander'nicht zum Frieden fanden, bedrückt den Papst: „Um das Elend noch zu vertiefen, gesellt sich zu den äußeren Feindseligkeiten innerer Hader, der die menschliche Gesellschaft überhaupt bedroht: der Klassenkampf und die Parteikämpfe. Sie sind es, durch die .Handel, Gewerbe, Industrie, kurz alle Quellen der öffentlichen und privaten Wohlfahrt', vergiftet werden. Die ,Gier nach materiellen Gütern und die egoistische Sucht, sie festzuhalten, die Begierde nach Macht und Besitz', ist beiden Teilen gemeinsam. Häufige Arbeitseinstellungen, freiwillige und aufgenötigte, in'ihrem Gefolge Volksaufstände und Unterdrückungsmaßregeln reihen sidi aneinander ,zum unermeßlichen Schaden der Gemeinschaft'... ,Das Übel ist bis an die tiefsten Wurzeln der menschlichen Gemeinschaft, bis zur Familie, vorgedrungen.* Schon vor dem Krieg in einem Zersetzungsprozeß begriffen, wurde sie durch ihn dem Verfall überantwortet, ,da der Krieg Vater und Sohn dem häuslichen Herd entführte'.“ —

All dies sagte der Papst vor 25 Jahren. Es liest sich heute aber wie die Geschichte unserer Zeit.

Ein zweitesmal ist seit seinem Mahnruf die Geißel des Krieges über die Erde gefallen und diesmal mit einer Härte, daß neben ihnen alle Verwüstungen, die die Geschichte kannte, in den Schatten gestellt wurden: aber die Menschen haben daraus weder gelernt, noch sind sie besser geworden. Die Verhältnisse haben sich nicht gebessert, die Übel sind, wo sie nicht ärger geworden sind, immer noch die gleichen geblieben. „Die Feindschaft der Völker ist nicht geringer geworden“, klagte der Papst damals, und die Uneinigkeit der Sieger erschiene ihm noch größer als vorher. Damals fanden sie aber wenigstens den Weg zum formellen Friedensabschluß, diesmal gelingt ihnen dies nicht einmal zweieinhalb Jahre nach dem Eintritt der Waffenruhe. Wiederum pilgern die Staatsmänner von Konferenz zu Konferenz und alles dünkt „wider Erwarten erfolglos“ zu sein! — Aufs neue zittert die Menschheit vor dem befürchteten Kommenden.

Auf die Frage, was die Ursache dieser Not ist, gibt der Papst Antwort in seinem Friedensbrief: „Wohl wurde der Friede unter den Kriegsführenden feierlich geschlossen; aber erbltebnur inden diplomatischen Urkunden geschrieben, in die Herzen der Menschen fand er keinen Eingang. Dort lebt bis zur Stunde noch die alte Kriegswut und wächst mit jedem Tag weiter zu einem drohenden Verhängnis für die Gesellschaft aus. Leider nur allzu lang hat überall die Gewalt triumphiert. Unvermerkt unterdrückte sie die Gesinnungen der Barmherzigkeit und Güte, die die Natur allen eingepflanzt und das christliche Gesetz der Liebe vervollkommnet hat“ Was der Papst aber als die Triebkräfte dieses Unheils erklärt, ist es auch heute noch: „Sucht man nicht den Nächsten zu unterdrücken, um so viel wie möglich von den Gütern dieses Lebens zu erraffen? ... Hand in Hand mit der Verständnislosigkeit für die ewigen Güter geht allenthalben ein unersättlicher Hunger nach dem Irdischen und Vergänglichen.“

Diese Erkenntnis wird überall, wo man sidi anschickt, dem Frieden zu dienen, obwalten müssen: Die Verknechtung der Menschheit an die Materie ist das Grundübel der Zeit: gleichgültig in welcher Form sie auftritt, ob als Kapitalismus oder Kommunismus, Nationalismus oder Imperialismus, Klassenkampf oder Rassenrivalität. Unsere Sehnsucht nach einem Frieden kann sieb daher nicht in dem Streben nach einem Frieden erschöpfen, der weiter nichts bedeutet als „eine Form für den gegenseitigen Verkehr“. „Wir benötigen mehr; einen Frieden, der sich in die Herzen senkt, diese besänftigt und zu brüderlichem Wohlwollen geneigt macht.“

Um diesen Frieden müssen wir kämpfen; wir müssen ihn uns erkämpfen: Und dieser Kampf um den Frieden wird nicht nur an den Konferenztischen der Großen dieser Erde ausgetragen, sondern im Herzen eines jeden von uns, er muß geführt werden in jedem Dorf, in jeder Stadt, in jedem Werk, in jedem Amt. Er ist der Kampf um Recht und Gerechtigkeit, noch mehr aber der Kampf um den Geist der versöhnenden Liebe.

Im Geiste dieses Kamofes soll uns am Fest des Friedens, am Weihna“cht?fe=t, besonders heuer, am 25. Jahrestag, die große päpstliche Friedensbotschaft ' in Erinnerung gerufen werden.

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