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Schatten über Argentinien

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Buenos Aires, 17. Dezember 1954 (Kathpreß). Nach Beendigung eines Gottesdienstes in der Pfarrkirche von Rinvonada in Argentinien wurde der Geistliche Luis Alberto Aguirre ohne besondere Begründung verhaftet. Erst auf Drängen der Gläubigen gab die Polizei bekannt, der Geistliche habe im Verlauf einer Predigt verletzende Worte gegenüber der argentinischen Regierung geäußert. Don Luis Aguirre ist der zehnte Geistliche, der innerhalb der letzten fünf Wochen von der Regierung Perön verhaftet wurde.

Buenos Aires, Dezember 1954

Das argentinische Volk wird diesmal seinen Uebertritt in das neue Jahr in Unruhe begehen. Die von der Staatsregierung vollzogene Kulturpolitische Linksschwenkung, in der eine seltsame Mischung von faschistischen und radikalsozialistischen Motiven mitspielte, könnte rätselhaft erscheinen, würde man sich nicht erinnern, daß die Wurzeln des jetzigen, mit dem Namen Perón verknüpften politischen Systems bis in die Zeit seiner Machtübernahme zurückreichen Damals folgte dann nach nationalsozialistischem Muster die Gleichschaltung aller Gewerkschaf ten, ihrer sozialistischen Gliederungen und auch der christlichen Gewerkschaften und Arbeitervereine. Zwar wurden die christlichen Gewerkschaften nicht formell aufgelöst, aber jede Tätigkeit war ihnen untersagt, so daß es sich von selbst ergab, daß die stehengebliebenen Gemeinschaften des christlichen Gesinnungsraumes nun im Anschluß an die Katholische Aktion sich sammelten.

Aber der Sieg Peróns war nur ein halber Sieg oder noch weniger. Denn der von der Staatsmacht, dem „Peronismus“, aufgezogene „Allgemeine Arbeiterverband“ („Confederación

General del Trabajo“) geriet völlig unter den Einfluß seines ersten Generalsekretärs José Espejo, der alles andere als ein echter Perónist war; er war im spanischen Bürgerkrieg 1936 bis 1939 ein rotspanischer Kämofer gewesen, lenkt jetzt, umgeben von einer Schar Anhänger des gleichen Herkommens, in der unverfälschten Dialektik der radikal-sozialistisct n Führer den „Allgemeinen Arbeiterverband“, ah ob er seine Partei wäre. In dem Kampf um dit Arbeitermassen, der sich nach dem Tode Eve Peróns, der populären Gattin des Staatspräsdenten, zwischen dem Generalsekretär Espejo und 2erón entspann, zog zwar Espejo den kürzeren. A’ er zu einer durchgreifenden Ausbootung der radikalen Sozialisten kam es nicht, auch dann nicht, als in Person des Eduardo Vuletich ein dem Staatspräsidenten gefügiger Generalsekretär an die Spitze des „Allgemeinen Arbeiterverbandes“ gelangte, denn er war den übrigen Gewerkschaftsführern, die aus der Schule Espejos stammten, nicht gewachsen.

Dieser Zustand in der „Confederación General del Trabajo" führte dazu, daß sich die Katholiken in dieser Organisation enger zusammenschlossen und sich gegen die Vergewaltigung durch die Rotspanier wehrten. Da ersahen diese die Gelegenheit, diese Opposition zu erdrosseln, als die Regierung mit ihrem Gesetzentwurf, die Gleichstellung der ehelichen und unehelichen Kinder betreffend, eine schwere Schlappe erlitt, da der Gesetzentwurf im Parlament zufolge der energischen Proteste katholischer Organisationen zurückgenommen werden mußte und an seine Stelle eine Textierung trat, die im Einvernehmen mit den Spitzen der katholischen Bevölkerung erfolgt war. Nun großer Lärm: Der Arbeiterverband sei gesetzwidrig von katholischen Elementen infiltriert worden, gefährlichen Eindringlingen, die zu einer Machtübernahme im Staate sich rüsteten. Es wird be-

hauptet, daß Staatspräsident Perón — vielleicht tatsächlich irregeführt durch das Propagandageschrei — die Angreifer ermutigt habe. Nach einer Kabinettssitzung, zu der auch Mitglieder des Arbeiterverbandes beigezogen waren, fand dann am 10. November jene Konferenz statt, in der Staatspräsident Perón in Gegenwart sämtlicher Gouverneure der Provinzen und Na- tionalterritorien seine unglückliche, hemmungslose Rede hielt, mit der er einstimmte in die Bezichtigung der Katholiken, daß sie sich zu politischen Zwecken der Arbeiterbewegung zu bemächtigen trachten. Durch den ganzen Staat trug der Rundfunk die Anklage, der Erzbischof von Córdoba und die Bischöfe von Santa Fé und La Rioja und eine ganze Reihe von Priestern seien öffentliche Ruhestörer, denen die Strafe des Gesetzes drohe. Einige Geistliche, die im Staatsdienst standen, wurden sofort entlassen. Die Feier des Bischofsjubiläums in Córdoba wurde verboten, und als Straßenkundgebungen der Bevölkerung gegen dieses Verbot protestierten — es war auch die rein kirchliche Feier untersagt worden —, schritt ein großes Polizeiaufgebot mit den üblichen Mitteln der Brachialgewalt gegen die Bevölkerung ein.

Das Regime Perón hat in diesen Wochen Wege beschritten, die ihm bisher fremd waren Die bisher schon nicht geringe Zahl seiner Gegner hat sich in nicht ungefährlicher Weise vermehrt. Es wäre bedauerlich, wenn seine stabilisierte Kraft, aus der bisher eine achtenswerte soziale Initiative entsprang, Schaden erleiden würde.

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