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Die „Rückkehr Peröns'ist so oft angekündigt worden, daß man kaum noch an sie glauben wollte. Es ist paradox, daß ein „Diktator' wie Lanusse, der jahrelang als Anti-Perönist im Gefängnis saß, die verworrenen Fäden des politischen Schicksals nicht'ohne einen anderen General zu lösen vermag, der seit 17 Jahren in der Emigration lebt.

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Die „Rückkehr Peröns'ist so oft angekündigt worden, daß man kaum noch an sie glauben wollte. Es ist paradox, daß ein „Diktator' wie Lanusse, der jahrelang als Anti-Perönist im Gefängnis saß, die verworrenen Fäden des politischen Schicksals nicht'ohne einen anderen General zu lösen vermag, der seit 17 Jahren in der Emigration lebt.

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Trotz aller Untersuchungen, die uns die Psychologie der Masse bietet, läßt sich die Wirkung Peröns nur zum Teil rational erklären. Freund und Feind sind sich darüber einig, daß Perön eine einzigartige Anziehungskraft auf die argentinische Masse ausübt. Das hat vielfältige Gründe. Bis zu seiner Epoche wechselte die Macht auf Grund meist betrügerischer Wahlen zwischen der konservativen Grundbesitzeroligarchie und der liberalen Mittelstandspartei, den sogenannten „Radikalen“. In einer parallelen, aber vom brasilianischen Mussolini-Anbeter Vargas unabhängigen Entwicklung schuf Perön die zweite populistische Bewegung, seinen „Justicialisme“. Zunächst gab er der Masse, die bisher als amorphes Objekt der Politik behandelt wurde, Selbstbewußtsein und Kraft. Perön stützte sein Regime auf ein Bündnis zwischen dem Heer und der Arbeiterschaft, wobei er die Oligarchie bekämpfte, aber nicht beseitigte. Die „Descamisados“, die „Hemd'esen“, sahen sich plötzlich von einer geringgeschätzten Nebenrolle zu Hauptdarstellern der politischen Szene erhoben. Dieser Wandlung in der Macht entsprach der wirtschaftliche Aufstieg der Arbeiterklasse. — Während bis zu seiner Epoche und nach ihr die Arbeitnehmer eine bei der Einkommensverteilung sehr benachteiligte Gruppe darstellten, waren sie' unter seiner Ägide eine der begünstigsten. Seine Frau — Evita Perön — steigerte die sozialreformerische Tendenz ins Emotionelle. Durch den engen Kontakt mit der notleidenden Masse, der sie

— zuletzt vom Sozialministerium aus

— Posten besorgte oder Lebensmittel und Kleider gab, schuf sie sich den Mythos einer Madonna.

Als sie 1944 noch Sprecherin bei Radio Belgrano und Schauspielerin dritten Ranges war und Oberst Perön als Staatssekretär für Arbeit und Sozialfürsorge wirkte, ließ dieser die bisher nicht beachteten Gesetze

über bezahlte Feiertage, die Weihnachtsgratifikation und den Kündigungsschutz zur Realität werden und machte damit die Masse zu seinen Parteigängern.

Man kann die lateinamerikanische Politik nur verstehen, wenn man den politischen Minderwertigkeitskomplex in Rechnung setzt, der sich vor allem in völlig labilen Empfindungen gegenüber den USA äußert, wobei Mißtrauen, Angst und Bewunderung in einer merkwürdigen Mischung zusammenwirken. Der Aufstieg Peröns begann unter dem Zeichen fanatischer Gegnerschaft zu USA. Er bekam bei den Wahlen von 1946 mehr als die Hälfte aller Stimmen unter dem Motto: „Perön oder Braden“ (gemeint war Spruille Braden, der damalige nordamerikanische Botschafter in Buenos Aires). Damit, daß er es am Anfang seiner zehnjährigen „leadership“ (1945 bis 1955) wagte, den mächtigen USA entgegenzutreten, entsprach er einem politischen Grundgefühl der Argentinier, die häufig ihre internationale Bedeutung überschätzen. Gleichzeitig gewann er die Herzen seiner Offiziere, indem er ihnen die Hegemonie über Südamerika versprach. Im letzten Drittel seiner Herrschaft hat Perön freilich in allem das Gegenteil seiner bisherigen Politik getan. Er hat unter dem Druck der 1953 akut gewordenen Wirtschaftskrise, nachdem er die riesigen Reserven aus dem zweiten Weltkrieg vergeudet hatte, die Löhne und Preise eingefroren und freundschaftliche Beziehungen zu den politischen und wirtschaftlichen Spitzengruppen der USA aufgenommen. Als er 1955 gestürzt wurde, bezeichnete er sich als Opfer des Konkurrenzkampfes, den die USA und England um das argentinische Petroleum geführt hätten. In der Tat war Peröns Vertrag mit der Standard Oil of California auf Bohr- und Förderungsrechte über 50.000 qkm in der südlichen Provinz Santa Cruz eines von vielen Argumenten in der Propaganda der argentinischen antiperonistischen Offiziere. Ein anderes war sein Kampf gegen die Kirche, die am Anfang sein Regime unterstützt hatte. Er ließ ein Scheidungsgesetz annehmen und ließ Prozessionen polizeilich auflösen. Schließlich zündeten Peronisten katholische Gotteshäuser an. (Inzwischen hat sich Perön längst wieder mit der Kirche ausgesöhnt.) Aber weder seine Wendung zum nordamerikanischen Großkapital noch sein Kampf gegen die Kirche waren entscheidend für seinen Sturz. Dieser war vor allem auf die beispiellose Korruption zurückzuführen, die er und Evita betrieben hatten. Ob die Schätzung, mit der man nach seinem Fall sein Vermögen bewertete (152 Millionen Dollar) stimmt oder nicht — auf jeden Fall haben sich nur wenige lateinamerikanische Politiker so schnell und so ausgiebig illegal bereichert wie das Ehepaar Perön. Man hat in Lateinamerika für sehr aktive, aber sehr korrupte Politiker das Motto geprägt: „Er stiehlt, aber er tut etwas.“ Der beispiellose Luxus an Kleidung und Schmuck, den die aus engen Verhältnissen stammende Eva Perön zur Schau stellte, hat bezeichnenderweise weder den Neid noch die Mißbilligung der Masse gefunden. „Für Evita ist nichts gut genug“, war deren Reaktion. Nicht einmal, daß

Perön nach Evitas Tod ein Verhältnis mit einer 15jährigen Schülerin begann, hat die Bewunderung für ihn in der argentinischen Masse geschmälert. (Das Strafverfahren ist erst vor kurzem wegen Verjährung eingestellt worden.) Er, der Korrupteste von allen, proklamiert heute den Kampf gegen die Korruption. Obwohl er seinerzeit das Bündnis mit der Wall Street einging, läßt er sich heute als „Antiimperialist“ und Wortführer der „Dritten Welt“ feiern. Er hat sich oft auf den Geist der neuen Revolutionäre — Mao Tse-tung, Fidel Castro, Allende und den peruanischen General Velasco Alva-rado — berufen, so zwiespältig problematisch es auch sein mag, so verschiedenartige Orientierungen zu einem gemeinsamen Leitbild zu kombinieren. Da Perön nunmehr erklärt, „in einer Atmosphäre des Friedens und der Ruhe“ zurückkehren zu wollen und damit seinem Vaterland „einen letzten Dienst zu leisten“, muß man annehmen, daß er aus seinem Traum, als „neuer Befreier“ in die argentinische Geschichte einzugehen, erwacht ist.

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