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Zwei Frauen in Lateinamerika

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In Shakespeares Königsdramen bringen sich die Herrscher und Herrscherinnen gegenseitig um. Auch wenn man sich von diesen Sitten inzwischen entfernt hat, dürfte es doch zum erstenmal in der Geschichte vorgekommen sein, daß die dritte Frau eines vergötterten Nationalhelden die Leiche der zweiten in ihre Heimat zurückholen läßt, um sie ehrfurchtsvoll in der Kapelle an Seiten ihres verstorbenen Mannes aufzubahnen, bis ein würdiges Mausoleum, der „Altar des Vaterlandes”, fertig ist. Über die politische Aktualität hinaus gibt die Entwicklung viele massenpsychologische Rätsel auf..

Aufstieg und Wirkung Evitas, die vom argentinischen Parlament zur „geistigen Führerin der Nation” erklärt wurde, lassen sich vor allem mit zwei Motiven erklären: In ihrem Aussehen und ihrer geradezu grenzenlosen Putzsucht entsprach sie dem Schönheitsideal der Argentinier. Insoweit fühlt man sich versucht, an die Bewunderung zu denken, die die Masse den Filmstars entgegenbringt. Noch wichtiger erwies sich ihre weitgehende Identifizierung mit der Volksmasse. Trotz aller demokratischen Umgangsformen war die Arbeiterschaft in Argentinien immer nur Objekt, niemals Subjekt der Politik. Gerade unter Evitas Einfluß machte Perön die Gewerkschaften zur Hauptstütze seines Regimes. Er schaffte ihnen damit nicht nur Selbstgefühl, sondern verbesserte vor allem auch ihre soziale Lage entscheidend. In einer über das Sentimentale hinausgehenden Reaktion auf enge wirtschaftliche Verhältnisse in ihrer Jugend, widmete Evita einen großen Teil ihrer Tätigkeit der Wohlfahrtsarbeit. Sie kassierte nicht nur bei Lohnerhöhungen die erste Rate für ihre Stiftung, sondern nahm „ Antragstellern”, Wirtschaftsführem oder Verbandspräsddenten große Summen für diese Zwecke ab. Hier-’ durch schuf sie, eine ganz junge Frau, ein Mutter-Image bei der Volksmasse. Sie selbst nahm das Geld in Empfang, und sie selbst verteilte die Pakete. Dabei unterschied sie sich weitgehend van den tradi tionellen „Wohlfahrtsdamen”. Die Not war für sie ein echtes Anliegen. Mit derselben Leidenschaft, mit der sie sich und ihrem Mann den politischen Weg ebnete, repräsentierte sie, juwelenübersät, bei den Galaabenden des „Teatro Colön”, um am nächsten Morgen im einfachsten Kostüm Audienzen für Bittsteller oder Hilfesuchende aus dem Volk zu geben. Ihr tragischer früher Tod verstärkte noch die intimen Beziehungen zwischen der Masse und ihr. Die soziale Gleichgültigkeit der Militärregierungen und die ungeschickte Verschleppung ihres Leichnams, den erst Lanusse zurückgab, verschärfte noch das mystische Grundgefühl, mit dem man die Erinnerung wie die an einen messiani- schen Religionsstifter pflegte. Pe- röns Rückkehr paßte trotz der alarmierenden internen Spannungen und Störungen in dieses psychologische Panorama.

Während Evita Perön an die Macht gebracht und an ihr gehalten hatte, „machte” Perön seinerseits Isabelita. Es entspricht nicht der Realität, wenn man ihre frühen künstlerischen Betätigungen einander gleichsetzt. Gewiß hatte es Evita — arm, reizvoll und grenzenlos ehrgeizig — sehr schwer, im Rundfunk, Theater und Film auch nur eine bescheidene Rolle zu spielen. Dagegen kam Isabelita aus einer emstzunehmenden Tanzschule und wirkte auf einer seriösen Tournee mit, als Perön sie in Panama kennenlemte. Abgesehen davon, war sie Französischlehrerin. Aber ihr fehlt nicht nur ein schönes Organ, sondern darüber hinaus der Charme und die Suggestionskiraft Evitas. Im Gegensatz zu ihr kleidet sie sich sehr zurückhaltend; besonders auffällig ist ihre strenge — im übrigen glänzend gehaltene — Frisur.

Das einzigartige Phänomen, nicht nur in der argentinischen Geschichte, ist nun, daß Isabelita ihre Legitimation zur Machtausübung aus der Sonne Evitas herzuleiten scheint, wobei sie sich bewußt ist, in ihrem Schatten zu bleiben. Bei ihrem Regierungsantritt versprach sie, den Leichnam Evitas nach Buenos Aires zu bringen. Sie hielt ihr Versprechen. Die Photographen knipsten ein eindrucksvolles Bild, das sie allein am Sarge, im Hintergrund die Schwestern Evitas und die Regteiungsmitglieder, zeigte. Mit geschickter Propaganda versicherte man, daß die Schwestern geweint und sie mit Mühe die Tränen zurüokge- halten habe. Der Zeitpunkt war nicht zufällig gewählt. Sie erklärte, daß Evita als „Pfand der Einheit” gelten solle, hoffte also, die starken Gegensätze, die Argentinien erschüttern, zu überbrücken, weil auch die Terroristen von Rechts und Links Evita anbeten.

In den ersten Wochen ihrer Präsidentschaft ging der allgemeine Eindruck dahin, daß Isabelita auf die repräsentative Rolle einer würdigen Dame beschränkt bleiben werde, während alle politischen Entscheidungen von ihren ‘ Ministern, besonders aber dem stark umkämpften Soziadminister, Ex-Privatsekre- tär und Astrologen Peröns, Jose Lopez Rega getroffen würden. Inzwischen hat man aber bei der Ernennung von Ministem beobachtet, daß sie auch der „grauen Eminenz” gegenüber zuweilen ihre eigene Meinung durchsetzt.

Sie hat jedenfalls an Gesicht und an Gewicht gewonnen.

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