6846052-1976_21_09.jpg
Digital In Arbeit

Dustere Phantasien

Werbung
Werbung
Werbung

Die weltweite Welle politischer Morde, Entführungen, Kommandoaktionen und Bombenattentate hält Lateinamerika, eine Brutstätte der Guerilleros, von Buenos Aires bis Mexiko in Atem. Trotz der Machtübernahme durch die Generäle in Argentinien ermorden die linken Guerilleros („Montoneros“ und „ERP“) weiter rechtsperonistische Gewerkschaftsführer, Polizisten, Unternehmer und Offiziere, während die ultrarechten Extremisten (der para-polizeilichen „AAA“) immer noch unbestraft linke Aktivisten entführen, foltern und als verstümmelte Leichen am Straßenrand zurücklassen. Die internationalen Trusts haben ihre Spitzenkräfte aus Argentinien in das benachbarte Uruguay oder nach Hause evakuiert, um nicht der Gefahr ausgesetzt zu bleiben, für sie Millionen Dollar Lösegeld zahlen zu müssen. Die argentinische Militärregierung hat nunmehr Sendern und Zeitungen verboten, die tägliche Chronik des Schreckens zu verbreiten; aber das erzwungene Schweigen der berufenen Mittler der Information führt nur dazu, daß unsichere Gerüchte die korrekte Meldung ersetzen. Die Furcht vor dem Terror wird mit dieser Maßnahme nicht beseitigt, sondern nur noch gesteigert.

Das Gefühl, einer nicht voraussehbaren Gefahr ohnmächtig gegenüberzustehen, führt an den Rand einer Angstpsychose, die vorläufig keine Massenhysterie darstellt, aber die düstere Phantasie belebt. Einer der Terror-Angstträume wird durch den Bau der Kernkraftwerke in Argentinien und Brasilien genährt. Nun ist die Vorstellung, daß revolutionäre Kernfachleute das für friedliche Nutzung produzierte nukleare Material zu einer Atombombe verarbeiten könnten, nur für Schrek-kensfilme verwendbar; aber es ist durchaus denkbar, daß die lateinamerikanischen Guerillakommandos, die schon jetzt zuweilen Dörfer, Polizeistationen oder Waffenarsenale besetzen, in Kernkraftwerke eindringen könnten, besonders, wenn sie mit Angestellten der Nuklearzentreri unter einer Decke stecken. Sie könnten dort entweder riesige Schäden durch Sabotage verursachen oder durch die Drohung mit der Atomvergiftung jedes politische Ziel erpressen. In Studien, die die amerikanische „Nuclear Regulatory Com-mission“ (NRC“) veranlaßt hat, wird das unmittelbare Risiko von Sabotageversuchen bestritten. Man meint dort, daß die revolutionären Gruppen ihrem organisatorischen und fachmännischen Niveau nach nicht in der Lage wären, die Sicherheit eines Kernkraftwerks zu beeinträchtigen. Diese Beurteilung trifft jedenfalls für Lateinamerika nicht zu, da dort zuweilen Vertreter der wissenschaftlichen Elite zu den Führern der Subversion gehören.

Einen anderen Schock löste ein makabrer Fund aus. An der uruguayischen Südatlantikküste wurden bei Rocha die gräßlich verstümmelten und gefesselten Leichen von vier asiatischen Männern und einer Frau gefunden. Zuerst vermutete man, daß die Mannschaft eines japanischen Piratenfischerbootes vor der Küste gemeutert und ihre Offiziere samt der Kapitänsfrau ermordet hätte. Aber dann kombinierten die Kenner der internationalen Guerillachronik eine andere Story: Im vorigen Jahr hatte auch die uruguayische politische Polizei von „Interpol“ eine weltweite Warnung erhalten. Ein Kommando des japanischen „Roten Heeres“ besetzte in Kuala Lampur (Malaysia) das nordamerikanische Konsulat, nahm 50 Geiseln und erpreßte die Freilassung von fünf der gefährlichsten Terroristen. Diese wurden in Lateinamerika gesucht. Anderseits entsprach die Verstümmelung, Fesselung und Ermordung genau den täglich geübten Methoden der argentinischen Todesschwadron „AAA“. Der aktuelle Angsttraum des Terrors wurde also dahingehend gedeutet, daß die Opfer von den japanischen Linksterroristen umgebracht worden seien.

„Interpol“ hat die Fingerabdrücke der Leichen an ihre 126 Filialen in der ganzen Welt geschickt. Aber die Aufklärung des Falles ist unwahrscheinlich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung