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Eine neue Gestapo?

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Zukünftige Historiker werden die jetzige Phase der amerikanischen Innenpolitik als eine Belastungsprobe der demokratischen Institutionen bezeichnen. Niemand kann heute schon voraussagen, ob die Demokratie diese Prüfung bestehen wird. Noch halben die Streiter für reine Demokratie die Oberhand. Sie haben die Übergriffe eines Präsidenten mit der Schwächung des ganzen Amtes geahndet und sind daran, die Geheimdienstorganisation — überall auf der Welt als CIA bekannt — zu „säubern“. Aber es ist die Tragik, daß diese Puriifikaitoren die wichtigsten Einrichtungen des Staates schwächen oder lähmen und damit die Tore den Feinden der Demokratie öffnen.

Zumeist sind jene, die den Angriff führen — wie meist in der Geschichte —, Männer ohne Erfahrung, wie die im November frisch gewählten Abgeordneten, oder kleinkarierte Politiker, die die Folgen ihrer bil-derstürmenden Aktivitäten gar nicht absehen können. Mit Hilfe wichtiger Massenmedien schaffen sie eine Art von Hysterie, die den Feind im Lande selbst und nicht außerhalb desselben sieht.

Der jüngste Feldaug richtet sich nun gegen die CIA. Seit Jahrzehnten wirkt diese der Sicherheit der USA verschriebene Organisation im Zwielicht der Öffentlichkeit, wie es bei einer solchen Arbeit gar nicht anders sein kann. Während die Konfrontation mit der kommunistischen Welt auf Regierungsebene uirbanere Formen angenommen hat, tobt der Kampf hinter den Kulissen um so härter. Denn nur der Geheimdienst kann feststellen, ob die sowjetischen Regierungsbeteuerungen von Detente und Rüstungsbegrenzung mehr sind als täuschende Floskeln. Daß subversive Kräfte auf allen Kontinenten die bestehende nichtkommunistische Ordnungounstürzen wollen, und zwar nicht durch demokratische Methoden, sollte seit Kuba, Südostasien, Korea und anderen Brennpunkten dieses Kampfes hinlänglich bekannt sein. Es scheint sich aber bei vielen die Auffassung verbreitet zu haben, daß man dagegen eben nichts unternehmen könne, daß dies eben der Zug der Zeit sei, dem man sich unterordnen müsse. Wenn dann aber zur Abwechslung einmal die CIA — wie in Chile den von einem kommunistischen Regime 'albgewürgten Kräften zum Durchbruch verhüllt, dann schreien eben diese Kräfte Zeter über Diktatur und Einmischung in fremde Angelegenheiten.

Noch stärkere Proteste lösen natürlich Enthüllungen aus, wonach die CIA im Inland ihre Netzte ziehe und Verdächtige überwache. Es ist richtig daß sie bei solcher Tätigkeit ihre gesetzlich gezogenen Grenzen überschreitet, die sie klar auf eine Interessenwahrung der USA im Ausland verweisen. Daß Übergriffe im Inland passiert sind, wird zugege-Jhen,„wenn auch ntcbt-jn,dem von den Kritikern behaupteten Ausmaß. Aber hier prallen auch bereits Gesetz und Realität, Demokratie und Wirklichkeit aufeinander. Daß Anschläge gegen Industrielle oder Ver-teidigungseinrichtungen, verübt durch Vietnamprotestierer oder Organisationen, die sich offen für die Zerstörung der amerikanischen Ordnung aussprachen, Hintermänner im Ausland haben können, ist nicht von der Hand zu weisen. Jeder, der die Geschichte faschistischer Anschläge und Praktiken studiert hat, muß daraus die Lehre ziehen, daß man den Anfängen Widerstand entgegensetzen muß. Das nicht zu tun, könnte — wie häufig geschehen, von der Geschichte schwer geahndet werden. So kam es offenbar zu Überschneidungen der der CIA gesetzten Grenzen. Dazu kommt, daß die FBI — die amerikawißche Bundespolizei, der die innere Sicherheit übertragen war, zu dieser Zeit von J. E. Hoover, einem Mann also geführt wurde, der in seinen guten Jahren bestes Amerika repräsentierte, aber am Ende seiner Karriere eine un-kooperative Starmäckigkeit entwik-kelte, die dazu führte, daß man ihn einfach umging. Da überdies alle Nachforschungen nach ausländischen Hintermännern im Sande verliefen, wird nun diese ganze Über-wachungsatotion als Anschlag gegen die Demokratie dargestellt und die CIA als Keimzelle einer neuen Gestapo. Nicht weniger als drei Organisationen sind bestrebt, Licht ins Dunkel zu bringen. Da gibt es ein von Präsident Ford eingesetzes Bürgerteam, das sich aus verantwortungsvollen Vertretern des öffentlichen Lebens zusammensetzt, von denen man annehmen kann, daß sie das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Dann aber wollen auch ein Senatskomitee und eines des Repräsentantenhauses watergate-artige Untersuchungen einleiten, und man kann sich lebhaft vorstellen, wieviel Porzellan dabei zerbrochen werden wird.

Denn das Ziel der Bilderstürmer ist ja letztlich, die gewährte Opposi-tdonsfreihedt einzuengen und die CIA an eine Kongreßkandare zu legen. Die bisher zuständigen Kongreßkomitees seien im Laufe der Zeit zu unkritisch geworden und hätten vermieden, der CIA wirklich auf die Finger zu schauen, wird behauptet. Und da man ja schließlich in einer Epoche der militärischen Budgetkürzungen lebe, müsse auch der Haushalt der CIA erheblich eingeschränkt werden.

Was hier nicht beantwortet wird, ist die Frage, wie eine solche Organisation gegenüber dem sowjetischen KGB bestehen soll. Gegenüber einer Organisation, der der gesamte diplomatische Apparat einer Weltmacht zur Verfügung steht und die keinen finanziellen Begrenzungen ausgesetzt ist, weil hinter ihr die geballte Macht des Staatsapparates steht

Ist also das „neue Amerika“ im Begriff, den Weg der Selbstzerfflei-schung, der mit Watergate begonnen hat, fortzusetzen? Es hat diesen Anschein. Wahl giibt es genügend Einsichtige, die verstehen, daß die CIA eine der wichtigsten Einrichtungen einer außenpolitisch immer schwächer werdenden Supermacht ist. Aber die Tatsache, daß die Arbeit dieser Organisation ihrer Natur nach geheim bleiben muß und dem Publikum daher unverständlich bleibt, schwächt ihre Position in der Öffentlichkeit. Da Patriotismus und Opferbereitschaft sowieso dem Wohlfahrtsdenken zum Opfer fallen, kann nicht einmal diese emotionelle Saite in Schwingung gebracht werden.

Es erhebt sich daher die von vielen gestellte Frage: Was ist eigentlich in dieses an sich uivernünftige, praktische amerikanische Volk gefahren? Wo liegt die Triebfeder der Selbstzerstörung und selbstgewoll-ten Auflösung? Eine Antwort, die man oft hört, lautet: Wenn eine Nation außenpolitisch abbaut, dann verstärkt sie ihre innenpolitische Struktur. Also Rückkehr zur makellosen Demokratie, zur Priorität der Verfassung über praktische Lösungen, die vom Prestige einer Weltmacht dieser bisher diktiert wurden. So lange Probleme der Weltmacht im Vordergrund standen, mußte die Präsidentschaft gestärkt werden, wurden Einrichtungen geschaffen, die demokratisch nicht ganz zimmerrein waren Im Zeichen des Abbaus dieser Weltmachtrolle müssen die orthodoxen Werte wieder an ihre Positionen einrücken.

Was jedoch noch nicht getestet wurde, ist die Frage, ob das amerikanische Volk denn auch wirklich abdanken will. Es ist richtig, daß seine Bereitschaft, Opfer für eine Weltmachtrolle zu bringen, minimal ist. Es hat ihm aber noch niemand auseinandergesetzt, daß als Folge einer geschrumpften Weltmachtposition auch der Lebensstandard schrumpfen muß, während die neuen Amerikaner ihrer Wählerschaft klarmachen wollen, daß dieser Lebensstandard steigen werde, wenn man außenpolitische Engagements aufgebe. Es ist daher zu befürchten, daß früher oder später eine nationale Katastrophe eintritt, die dann die Zusammenhänge schlagartig erhellt. Es bleibt zu hoffen, daß der zu bezahlende Preis nicht zu hoch ist.

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