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Campora, Geiseln, Offiziere

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„Es ist sonderbar, daß die argentinischen Guerilleros nur europäische Geschäftsleute entführen“, sagte ein Kenner der Lage in Buenos Aires, auf die Tatsache anspielend, daß in der langen Liste der Geiseln zwei Engländer, ein Holländer, ein Portugiese und der italienische Fiat-Manager Sallustro aufscheinen. Bis heute — seltsam genug — wurde kein einziger Nordamerikaner entführt. Zufall oder Teil der „Befreiungsstrategie“? Beobachter behaupten, es stekke ein Plan dahinter. Welcher wohl?

Der gewählte argentinische Präsident, der Peronist Dr. Hector Campora, hat die Vereinigten Staaten und die nordamerikanischen Kapitalisten wiederholt bitter kritisiert und versucht, Kapital aus Europa nach Argentinien zu locken, vor allem Kapital aus dem EWG-Raum und hier wieder speziell aus Italien. Ungefähr die Hälfte der argentinischen Bevölkerung — 24 Millionen — ist italienischer Abstammung.

Die Guerilleros lehnen nun jede Regierung, sowohl eine militärische, als auch eine zivile, und wenn diese auch von Peronisten geführt sein sollte, ab und wollen daher, so scheint es, europäische Investoren entmutigen, indem sie eine Atmosphäre von Unsicherheit und Wirtschaftschaos schaffen.

In Argentinien gibt es derzeit fünf nennenswerte subversive Gruppen mit insgesamt ungefähr 5000 militanten Mitgliedern, von den peronisti-schen Extremisten bis zu den Linksmarxisten, von den Nationalisten bis zu den Sozialisten. Die Montoneros und die FAP (Fuerzas Armadas del Pueblo) haben sich kürzlich zusammengeschlossen. Zwei ehemals pero-nistische, aber abtrünnige Gewerkschaftsführer und der ehemalige Staatspräsident, General Pedro E. Aramburu, wurden von dieser Gruppe ermordet. Das ERP (Ejercito Re-volucionärio del Pueblo) hinwieder ist eine von Kuba inspirierte marxistische Gruppe. Die Mitglieder der

FAL (Fuerzas Armadas de Libera-ciön) sind Trotzkisten. Die FAR (Fuerzas Armadas Revolucionärias) schließlich vertreten die „chinesische Linie“. Nur in einem Punkt sind sich die Extremisten alle einig — sie lehnen die parlamentarische Demokratie ab.

Während der Wahlkampagne bot Dr. Cämpora allen Guerilleros und Terroristen eine Amnestie an. Die Guerilleros aber wollten keine Amnestie von der Cämpora-Regierung und starteten alsbald eine große Terrorkampagne und beschimpften die Mannen Cämporas als „bürgerlich“.

Eine der terroristischen Gruppen hat, wie man erfuhr, eine Liste von 150 Marineoffizieren zusammengestellt, die sie zu töten gedenken. Dies ist durchaus ernst zu nehmen, da vier Offiziere inzwischen bereits ermordet wurden. Angeblich soll dadurch die Armee provoziert werden, damit sie gegen Cämpora interveniert und dessen Chancen zerstört.

Das Militär beobachtet aufmerk-

sam die Entwicklung. Obwohl Argentinien ein Land mit langer demokratischer Tradition ist, lag hier die reale Macht immer in der Hand der Armee. Auch der einstige Oberst Juan Domingo Perön kam ursprünglich mit Hilfe einer Offiziersgruppe an die Macht, und als die Armee sich gegen ihn wandte, war er erledigt. In den vergangenen 17 Jahren gab es zwei Wahlen ohne Teilnahme der peronistischen Justicialisten-Be we -

gung. In beiden Fällen wurden Zivilregierungen (unter den Präsidenten Frondizi und Ulia) gebildet, die jedoch von der Armee beseitigt wurden. Endlich kam die Armeeführung zur Überzeugung, daß Argentinien eine Zivilregierung mit breiter Vdlks-unterstützung, also unter Beteiligung der Peronisten brauche. Dieser Plan fand die Unterstützung des im Madrider Exil lebenden Perön und des Präsidenten der letzten Militärregierung, General Lanusse. Sie vereinbarten, persönlich nicht zu kandidieren und so die „Atomisierung“ der politischen Macht zu verhindern. (Es gab im Lande mehr als 200 politische Parteien!)

Die entscheidende Zukunftsfrage geht nun dahin, wie sich das Verhältnis der neuen peronistischen Regierung zum Militär entwickelt. Es gab nämlich keine wirkliche Machtüber-tragung! Die Armeeführung hat bloß beschlossen, die Macht mit der gewählten Zivilregierung zu teilen. Dr. Cämpora und sein Mentor in Madrid, General Perön, haben das sehr wohl verstanden. Sie kennen die Militärs. Deshalb mißbilligten sie auch schleunigst eine Erklärung des Präsidenten der peronistischen Jugendmassenorganisation, Rodolfo Galimberti, der erklärt hatte, er sympathisiere mit den Guerilleros. Galimberti mußte binnen 48 Stunden zurücktreten.

Dr. Cämpora und seine Regierung treten ihr Amt am 25. Mai, am Nationalfeiertag Argentiniens, an. Niemand vermag ihr Schicksal vorauszusehen.

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