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Emigranten als Quelle der Berichterstattung

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Die argentinische Regierung kündigte eine „diplomatische Gegenoffensive” an, um das Image des Landes in Westeuropa zu verbessern. Die Einreihung unter „Staaten, die Menschenrechte verletzen” wird dort wie in Brasilien, Chile und Uruguay auf eine entstellte Darstellung der wahren Situation des Landes zurückgeführt. In der Tat interessiert die Massenmedien in Westeuropa und den USA nur das Sensationelle: Entführungen, Torturen, Aktionen der Guerilleros.

Nun läßt sich nicht bestreiten, daß in Argentinien ein verschleierter Krieg gegen eine glänzend organisierte linksradikale Untergrund-Armee geführt wird. Wie gefährlich sie ist, ersieht man an Attentaten auf den Präsidenten und die führenden Persönlichkeiten der Generalität. Die Guerilleros werden, so man ihrer habhaft wird, offensichtlich in aller Regel erschossen. Dieses Vorgehen beruht wahrscheinlich auf der Erfahrung, daß bei jeder Gefangennahme prominenter Extremisten prompt eine Entführung organisiert wird, um mit der Drohung, die Geiseln zu erschießen, die Freilassung der Guerilleros erzwingen zu können. Da die Guerilleros nunmehr wissen, daß auf jeden Fall geschossen wird, sind sie es, die in der Regel mit dem Gebrauch der Schußwaffen beginnen. Soweit Polizei und Heer in diesem Kriege von der Waffe Gebrauch machen, handelt es sich um Notwehr, also um eine berechtigte Anwendung der Gewalt. In diesen Fällen ist von Tortur keine Rede.

Der Vorwurf einer „Verletzung der Menschenrechte” wird vor allem wegen Repressalien erhoben, die von unbekannten Rechtsextremisten verübt werden. Ein in Buenos Aires akkreditierter Diplomat sagte kürzlich: „Für einen ermordeten Oberst werden zehn, für einen General zwanzig hingerichtet.” Linksgerichtete Intellektuelle oder Gewerkschaftler werden von Leuten, die sich als Polizei ausgeben, im Morgengrauen aus dem Bett geholt. Sie verschwinden oft spurlos. Leichen werden am Meeresufer angeschwemmt oder auf öffentlichen Plätzen gefunden, häufig so verstümmelt, daß man sie nicht identifizieren kann. Ob es sich um Hunderte oder um Tausende handelt, die dieses Schicksal erleiden, weiß man nicht. Die entscheidende Frage ist, inwieweit man die Regierung für diese „Privatjustiz” verantwortlich machen kann. Präsident Videla und das Heer erklären, daß sie die Gewalt von Links genauso mißbilligen wie jene von Rechts. Aber es ist der Öffentlichkeit kein einziger Fall mitgeteilt worden, in dem jene Elemente, die auf eigene Rechnung Justiz geübt hatten, aufgedeckt, angeklagt oder verurteilt worden wären. Wenn man dies einem Verantwortlichen in der Regierung vor Augen hält, antwortet er: „Wir werden mit der Bundespolizei nicht fertig.” Ob die Schuldigen nun bei der Polizei oder in den vielfach konkurrierenden Geheimdiensten der drei Waffengattungen zu suchen sind - und es sind ihrer allem Anschein nach viele, die nicht miteinander in Verbindung stehen - in jedem der Fälle scheint Korpsgeist die Aufdeckung der Massenmorde zu verhindern.

In Brasilien hegt die Sache insofern anders, als es hierTorturen und „Herztod bei Vernehmungen” tatsächlich gibt. In einigen spektakulären Fällen hat der Präsident die Verantwortlichen strafversetzt; daß sie jedoch auch verurteilt wurden, ist niemals bekannt geworden. Man darf diese politischen Morde nicht mit der Tätigkeit der „Todeskommandos” verwechseln. Bei ihnen handelt es sich um Kriminalbeamte, die sich, nachdem einige von ihnen von rückfälligen Berufsverbrechern umgebracht worden waren, zu einem Verschwörerkonventikel zusammengeschlossen haben, um Kriminelle „umzulegen”. Sie pflegen den Zeitungen mitzuteilen, welchen Verbrecher sie beseitigt haben und auf welcher Straße sein Leichnam zu finden ist

Nun kann man gewiß verschiedener Ansicht darüber sein, ob eine Regierung sich von der Verantwortung für Folterungen, Entführungen oder Morde dadurch befreien kann, daß sie wahrheitsgemäß erklärt, es handle sich um Verbrechen von Gruppen, die sich der staatlichen Disziplinargewalt entzögen. Vielmehr haftet ein Staat auch für das unbotmäßige Vorgehen seiner Offiziere und Beamten.

Diese Situation wird allerdings außerhalb Lateinamerikas falsch dargestellt. Das Nachrichtenmaterial stammt zumeist von Emigranten, die Einzelfälle verallgemeinern und frühere Situationen fälschlich als fortbestehend annehmen. Die nordamerikanischen und europäischen Massenmedien lassen sich ihr Lateinamerikabild von Mitgliedern oder Parteigängern der Linksguerilleros entwerfen, wie unlängst das Auftreten des „Tu- pamaro”-Freundes Enrique Erro in der Genfer „Kommission für Menschenrechte” neuerlich bewiesen hat. Auf der anderen Seite trifft die lateinamerikanischen Regierungen ein gerütteltes Maß von Schuld an dem nach ihrer Vorstellung falschen eigenen Image, weil sie in der Regel Folterungen und Entführungen vertuschen, die freie Berichterstattung knebeln, statt die Einzelfälle aufzuklären und die Verantwortlichen öffentlich zur Rechenschaft zu ziehen. Im übrigen muß man sich wundem, daß sich die lateinamerikanischen Korrespondenten in Europa noch nicht mit einer gleichermaßen einseitigen Berichterstattung revanchiert haben.

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