6790592-1970_35_08.jpg
Digital In Arbeit

Mord auf der Strabe

Werbung
Werbung
Werbung

Es gehört zum üblichen Ton in der Politik, unangenehme Dinge zu bestreiten. Aber in Brasilien haben Dementis eine Eigentümlichkeit, die sie lächerlich erscheinen lassen. Erst hat die Regierung selbst in offiziellen Erklärungen des damaligen Außenministers die Indianergreuel als Schande bezeichnet und versprochen, daß die Täter bestraft werden würden. Inzwischen bestreitet sie aber die Vorfälle. Kein Täter wurde bestraft. Dann gab es Anklagen über Torturen politischer Gefangener. Nunmehr erklärt die Regierung, es gäbe überhaupt keine politischen Gefangenen und daher auch keine Folterungen. Der brasilianische Außenminister Mario Gibson Barbosa machte auf der Rückreise aus Japan in Washington Station, um dagegen zu protestieren, daß das „juristische Komitee“ der „Organisation Amerikanischer Staaten“ zwar in Rio seinen Sitz habe, aber Brasilien — entgegen dem Protokoll — nicht mehr in ihm vertreten sei. (Es entspricht internationalem Brauch, daß das Land, in dem ein übernationales Organ seinen Sitz hat, auch in ihm vertreten ist.) Gleichzeitig weigerte sich der brasilianische Justizminister Alfredo Buzaid, dem internationalen Juristenkomitee in Genf die verlangte Besichtigung der brasilianischen Gefängnisse zu gestatten und bezeichnete die Folterungen als Erfindungen des internationalen Kommunismus.

Dieses Mal jedoch wurde der Präsident Garrastazü Medici energisch. Er erklärte offiziell, die „Todesschwadronen“ nicht mehr zu dulden und die schuldigen Polizeibeamten zur Rechenschaft zu ziehen. Der Justizminister depeschierte sogar in seinem Namen an die Gouverneure von sechs Staaten: „Der Präsident dar Republik verurteilt die sogenannten Todesgeschwader, die unter dem Vorwand, verbrecherische Außenseiter der Gesellschaft zu beseitigen, Morde und andere barbarische Akte begehen.“ Aber die Forderung des Präsidenten stößt in den brasilianischen Bundesstaaten auf taube Ohren, so daß die Zentralgewalt nun mit Intervention droht. In Säo Paulo sind zwanzig Fälle der Staatsanwaltschaft angezeigt worden. Dort allein sollen in den letzten zwei Jahren mindestens 80 Fälle vorgekommen sein, in denen aktive oder pensionierte Kriminalbeamte Verbrecher auf eigene Faust erschossen, ihre Leichen mit dem Symbol der Geschwader — Totenkopf mit gekreuzten Knochen — gezeichnet und Zeitungs- oder Rundfunkredaktionen von dem Ort verständigt haben, an denen die Leiche zu finden war. Auf die Warnung des Präsidenten wurde gleich mit sieben Morden reagiert, dem Staatsanwalt, der die Untersuchung führt, wurde mit dem Tode gedroht, falls er seine Tätigkeit nicht einstelle.

Offiziell erklären allerdings die örtlichen Polizeistellen, es gäbe gar keine Todesgeschwader; sie machen abwechselnd „Terroristen“ oder „interne Auseinandersetzungen zwisehen Verbrechern“ für die Morde verantwortlich. Das Erstaunliche dabei ist, daß in Säo Paulo, wo in 21 Monaten 123 Tote, die mit 2531 Schüssen ermordet wurden, zu verzeichnen waren, nach den Feststellungen eines Meinungsforschungsinstitutes — im Auftrage der Zeitschrift „Veja“ — 60 Prozent der Bevölkerung für die (existenten oder nichtexistenten) „Todesschwadronen“ sind, weil sie der Ansicht stind, daß die getöteten Berufsverbrecher nicht für die Gesellschaft zurückzugewinnen seien, oder daß die Machtmittel der Justiz nicht ausreichen, um die Verbrechen wirksam zu bekämpfen. Eine gefährliche These, die in anderen lateinamerikanischen Ländern Schule zu machen droht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung