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Neue Indianerpolitik Brasiliens

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Die weltweite Erregung über die Indianergreuel hat die brasilianische Regierung dazu veranlaßt, einen interministeriellen Ausschuß „zur internationalen Aufklärung“ zu bilden. Der Außenminister Mario Gib- ton Barbosa erklärte, daß die Regierung die Berichterstatter aus aller Welt einladen werde, damit sie sich ain Ort und Stelle von der wahren

Situation der Indianer in Brasilien überzeugen können.

Die neue, soeben in Kralt gesetzte brasilianische Verfassung hat eine positive und eine negative Wirkung auf das Indianerproblem. Auf der einen Seite ist durch Artikel 198 des Grundgesetzes jedes (auch bereits abgeschlossene) Rechtsgeschäft über den Ureinwohnern gehörendes Land für nichtig erklärt worden. (Schon nach Artikel 1356 der Verfassung von 1967 wurden die Ländereien der ,,Siilvicolas" — Urwaldbewohner — für unveräußerlich erklärt.) Der Präsident der „FUNAI“ (Fundagäo National do Indio“ — „Nationale Stif tung für den In/ddo“), der neuen Behörde zum Schutz der Indianer, Queiroz Campos, erklärte, daß er die tatsächliche Durchführung des Artikels 198 garantiere. In der Praxis ergeben sich zwar große Schwierigkeiten, weil es oft arme Leute aus dem nordöstlichen Hungergebiet sind, die die Ländereien der Indianer in Besitz genommen haben und dort auf kleinen Parzellen ein dürftiges Dasein fristen.

Die negative Wirkung der neuen Verfassung

Parlamentarische Kontrollen beendet eine Bestimmung wonach die vom Parlament eingesetzten Untersuchungsausschüsse nicht mehr ihre Reisespesen aus Staatsmitteln ersetzt erhalten. Das Parlament hatte eine Untersuchungskommission über die Indianerfrage eingesetzt, die in Dutzenden von Sitzungen Leiter von Urwaldstationen, Missionäre, Beamte des früheren „Schutzdienstes“, weiße Arbeiter und Indianer einvernommen und Reisen in die Gebiete von fünf Indianerstämmen im Rahmen der Untersuchung durchgeführt hat. Der Ausschuß erklärt, ohne Bereitstellung weiterer Mittel für Reisespasen die Untersuchung nicht fortsetzen zu können. Er will deshalb einen Bericht über das bisherige Ergebnis der Ermittlungen dem zuständigen Minister vorlegen und beim Innenminister vorstellig werden, um aus seinem Etat die erforderlichen Mittel ziu erhalten.

Die neue brasilianische Indianerpolitik wurde dieser Kommission von dem Direktor des Hilfsdezemats der „FUNAI“, Alvaro Villas Boas, dargelegt. Doch wendet man sich jetzt gegen die frühere Politik, durch die man die Indianer „integrieren“ wollte. Man bemüht sddi jetzt, die Indianer als selbständige und völlig eigenständige Volksgruppe in ihrer religiösen, sozialen und kulturellen Eigenart zu bewahren.

Das neue Polizeikorps

Die „FUNAI“ hat als Nahziele für die Indianerhilfe festgesetzt: 1. Sicherheit (vor allem gegen „Invasionen“ oder sonstige Gewaltanwendung, besonders auch den Indianerfrauen gegenüber). 2. Ernährung.

3. Gesundheitswesen. 4. Erziehung.

Zur Durchführung der ersten Aufgabe wird derzeit ein Polizeikorps am Indianern gebildet. Es heißt „Guarda Rural Indigena“, dessen Mitglieder nach der Abkürzung dieser Bezeichnung „Grins“ genannt werden. Hauptmann Manoel dos Santos, der sie bei der Militärpolizei von Minas Geräes ausbildet, hat sich bemüht, Häuptlingssöhne im Alter von 18 bis 25 Jahren aus den verschiedenen Indianerstämmen auszusuchen, die in ihrem Gebiet dann Polizeidienst leisten sollen. Außerdem sucht man Spezialisten unter ihnen für Tierschutz, Waldbrandbekämpfung und Erste Hilfe. Es sollen jeweils 90 an den dreimonatigen Ausbildungskursen teilnehmen. Kurioserweise lernen siie — in Anwendung des dargelegten Prioritätenkriteriums — weder lesen noch schreiben. Sie sollen auch ihren Bräuchen nicht entfremdet werden. In dieser Hinsicht ist von besonderer Wichtigkeit, daß Straftaten in den Indianerzonen nach einheimischem Recht von den Stammesge- richten abgeurteilt werden und nur in ihrer Zone lebende Nichtindianer vor die brasilianischen Strafgerichte gebracht werden sollen. Diese Pläne widerlegen die. Nachrichten, nach denen „von Amts wegen“ irgendeine Schädigung der brasilianischen Indianer beabsichtigt ist.

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