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Der Großteil der nordamerikanischen Indianer’(dävon in den USA 450.000 Indianer in zirka 200 Stämmen) lebt in den Reservationen, das heißt in aus dem „Hoheitsgebiet” einer Reihe von Einzelstaaten ausgesparten, ab- gegrenzten Landstrichen, die — teilweise mit zwangsweiser Aussiedlung aus ihren ursprünglichen Jagdgründen — nach Beendigung der mannigfachen Indianerkriege vertragsmäßig den unterworfenen Stämmen zur Verfügung gestellt wurden. Diese Gebiete wurden direkt der Federalen Regierung unterstellt, deren Indian Office durch Agenten, die zumeist auch kommerzielle Mittelsleute zwischen ihnen und der weißen Außenwelt waren, repräsentiert wurde.

Die meisten Indianerreservationen liegen westlich des Mississippi. Aber obwohl seinerzeit der Großteil der Chocktaws, Chickasas, Cherokees und Seminolen aus Florida, vom Mississippi und aus Louisiana, wo sie Schulen, Berufe und eigene Formen christlichen Lebens entwickelt hatten, zum Beispiel gewaltsam nach Oklahoma deportiert wurde (dort gehört es jetzt fast zum guten Ton in der Politik, auf indianische Vorfahren hinweisen zu können), finden sich auch heute noch Gemeinden der Cherokee in Nordkarolina, der Seminolen in Florida, der Irokesen im Staate New York, der Chocktaws in Mississippi und der Patawatomi in Michigan. Es gibt größere Indianersiedlungen in Wisconsin und Minnesota — die Menomini, Winnebago, Potawatomi, Ojibway (Chippewa), Oneida in dem ersteren, die Ojibway und Eastern Dakotes im zweiten Staat. Ferner befinden sich neben diesen — zirka 40.000 Köpfe umfassenden — Gruppen Indianerreservate in den meisten östlich vom Mississippi liegenden Staaten, zum Teil den gleichen „Nationen” angehörend.

Im ganzen dürften zirka 70.000 Indianer östlich des Mississippi leben, davon ungefähr 80 Prozent in Reservationen und der Rest in den Städten, wo sie vor allem als Kunsthandwerker, Sänger, Vortragende, Maler usw. teilweise von der Darstellung indianischer Traditionen leben, teilweise — besonders in jüngeren Altersschiohten — bereits in technische Berufe eingesprengselt sind. (Während des zweiten Weltkrieges war ein spezieller Geheimkode der amerikanischen Armee durch den Gebrauch eines so gut wie völlig unbekannten Stammesidioms mit Indianer-Radiospezialisten völlig unentzifferbar!)

Der Schwerpunkt der Indianerfrage liegt im „Wilden Westen”, wo die Majorität der Stämme lebt bzw. angesiedelt wurde: das heißt, jenseits des Mississippi. Dort gibt esfauf der einen Seite so riesige Reservationen wie die der Navajos, zirka 25.000 Quadratmeilen umfassend (größer als die „souveränen” Staaten Connecticut, Rhode Island, Massachusetts und New Jersey zusammengenommen!), auf der anderen Seite solche, die auf ein bis zwei Quadratmeilen der Restgemeinde eines einst großen Stammes zugesprochen wurden; unter anderem in Kalifornien, aber nicht nur dort.

Die Grundlage der „Autonomie” der Reservationen ist die Stammesgemeinschaft. Der ‘ Stamm ist Vertragspartner der amerikanischen Regierung. Das Land gehört ihm — nicht einzelnen Stammesangehörigen. Sein Council hat eine begrenzte Polizeigewalt im Reservat, ist Empfänger der vertraglich seit eineinhalb Jahrhunderten ihm vom „großen weißen Mann in Washington” zugesicherten Hilfeleistungen.

Der ghettoartige Charakter der meisten Reservationen ist auf die Dauer im modernen Amerika nicht aufrechtzuerhalten: das weiß jeder!

Aber die Einbeziehung der Indianergemeinden in die allgemeine amerikanische Sozialstruktur muß so geschehen, daß man sie, als Gemeinschaften weiterlebend, organisch eingliedert. Die örtlichen Kooperative, auf gemeinsamem Landbesitz ruhend, aufzulösen, heißt, die Indianer zu DP.s machen.

Was seit längerer Zeit vor sich geht, ist genau das: die Zerstörung der indianischen Stammesgemeinschaften, um die bisher den Stämmen kollektiv gehörenden Ländereien „auf den freien Markt” für Nichtindianer zu bringen, damit man vor allem bestimmte Bodenschätze ausnutzen kann. Es handelt sich hier um das gleiche Phändinen, das unter der Ueberschrift „Bauernbefreiung” einst in Preußen auftauchte, als die Steinschen Reformen durch die Hardenbergschen Zusätze teilweise das wurden, was als „Bauernlegen” in die Geschichte einging, formale Aufhebung juristischer Abhängigkeit, die zu verstärkter wirtschaftlicher Ausbeutung führt!

Man hat — was infolge einer Fülle von Er- gänzungs- bzw. Gegenanträgen allerdings nur teilweise in größerem Ausmaß bisher praktisch in Angriff genommen werden konnte — grundsätzlich im Bureau of Indian Affairs beschlossen, die in den Reservationen lebenden Indianer von der „Vormundschaft” der Federalen Regierung zu „befreien”, das heißt, die einzelnen Stammesangehörigen als „geschäftsfähig” und mündig zu erklären („competent”) und ihnen freizustellen, als freie Bürger der USA dahin zu gehen, wohin es sie treibt. Ueberall da, wo Gesetze dieser Art in Kraft treten, kann jeder einzelne Indianer beim Innenministerium beantragen, daß das Stammeseigentum an Land verkauft wird, damit er seinen Anteil ausgezahlt erhalten kann, auch dann, wenn die anderen Partner des gemeinsamen Grundbesitzes keine Verkaufsabsichten haben. Es findet sich immer ein einzelner, der der Versuchung des ersten „leichten Dollars” folgt. Ist so das Gemeineigentum in Privatanteile aufgesplittert, hat der Stamm das Aufsichtsrecht über Grund und Boden verloren. Er muß Zusehen, insbesondere dann (was bei den meisten Gemeinden der Fall ist), wenn es ihm an Mitteln mangelt, selbst bei Versteigerungen zum Verkauf angebotene Anteile zurückzukaufen, wie nach und nach Wirtschaftsgruppen ihm mit dem Landbesitz auch die Schürfrechte für Mineralien, Oel und so weiter aus der Hand nehmen.

Die Indianer verlangen ein „Punkt-Vier- Programm”, das heißt die Hilfe, die die Vereinigten Staaten an anderen Orten des Globus „unentwickelten Gebieten” zuteil werden lassen: Hilfe, um sich selbst helfen zu können. „Es ist nicht einfach”, stand einmal in der „New York Times”, „uns selbst, geschweige denn Außenseitern zu erklären, warum unsere eingeborenen Indianer inmitten all unserer Hilfsprogramme für die übrige Welt so vernachlässigt sind!”

Der offizielle Name des „Punkt-Vier-Pro- gramms” ist „Senate Concurrent Resolution”. Die Resolution wurde eingebracht von dem Senator Murray von Montana, um die Resolution 108 des 83. Kongresses zu ersetzen, in der erklärt wurde, daß es die Politik der Regierung sei, die Indianerstämme so schnell wie möglich aufzulösen. Obwohl nicht allzuviel Kongreßaktivität daraus folgte, hat das Bureau of Indian Affairs, sich darauf berufend, auf dem Verwaltungswege immerhin zwischen 1954 und 1957 mehr als 900.000 Acker Land zum Verkauf stellen lassen und zirka 200.000 Acker aus der federalen Treuhänderschaft „befreit”.

Murrays Resolution geht von der Feststellung aus, daß die Bundesregierung erst dann sich von ihren Verpflichtungen gegenüber den amerikanischen Indianern als abgelöst betrachten kann, wenn sie die indianischen Gemeinden auf eine gesundheitlich und auch sonst dem Niveau der durchschnittlichen amerikanischen Dorfgemeinde entsprechende Höhe zu bringen geholfen hat. Das Bureau of Indian Affairs sollte von nun an als Behörde definiert werden, die Maßnahmen ergreifen sollte, um ein solches „American Indian Point Four Program” in die Tat umzusetzen.

Im Mai 1957 hat das Senatsunterkomitee für Indianerfragen Vernehmungen dazu durchgeführt: ohne gesetzliche Folgen!

Im ganzen hat die legislative Tätigkeit des letzten Kongresses indes keine direkten schwerwiegenden Konsequenzen für die Indianer gehabt. Ein quasi seit zirka Jänner 1955 existierender „Waffenstillstand” zwischen ihren wahren und vorgeblichen Freunden, der sich darin ausweist, daß auf der einen Seite das „Punkt-Vier-Programm” um keinen Schritt weitergekommen ist, auf der anderen Seite aber auch keine zusätzlichen, den Protesten der Stämme zuwiderlaufenden Maßnahmen ergriffen wurden, scheint zu einigem Optimismus Anlaß zu geben.

Bitte, beachten Sie den unserer heutigen Inlandsauflage beiliegenden Prospekt vom Rhenania-Verlag, Koblenz, Deutschland.

Die „Indianerfrage” ist für die Vereinigten Staaten im Zeitalter von Atom und Sputnik keine entscheidende Frage, soweit das die „Realpolitik” betrifft. — Aber sie ist (ebenso, wenn auch im Kern fast gegensätzliche Folgerungen anratend, wie die „Negerfrage”) von Bedeutung deshalb, weil auch im Abwehrkampf der amerikanischen Ureinwohner gegen „falsch durchgeführte Befreiung” eine moralische Verpflichtung der amerikanischen Nation präsentiert wird, die sie einzulösen hat.

Die „desegregation” der Rothäute (das heißt die Auflösung der Reservationen) muß unter federalem Schutz gegen ökonomischen Raub durch übereilten Landverkauf vor sich gehen und muß mit Hilfe eines Moratoriums noch für vielleicht 20 Jahre ihre unzerschlagenen Stammeseigenschaften auf ein soziales Niveau zu heben unternehmen, das deren Mitgliedern gleiche berufliche Möglichkeiten im allgemeinen Wettbewerb aller Staatsbürger, unabhängig von Rasse, Glauben, Nationalität, erlaubt („Punkt- Vier-Programm”).

Das heißt, im Unterschied zur Behandlung der Negerfrage, muß hier das Tempo der Gleichsetzung mit der weißen Umwelt verlangsamt werden und nicht gewaltsam forciert. Was die Stämme brauchen, ist Zeit, Zeit und noch einmal Zeit!

Und die Behörden brauchen Vernunft und Geduld! — Läßt man so organisch den historisch nicht aufzuhaltenden Prozeß der endgültigen Einmündung der Indianergemeinden in die große nationale Gemeinschaft ablaufen, wird vielleicht eine Voraussage, die einer der ehemaligen Kommissare der USA für Indianerfragen, lohn Collier, einmal formulierte, wahr: „ … Die indianischen Gemeinden werden ihre alte Demokratie beibehalten, manchmal sie den größeren Aufgaben anpassend, die sie mit übernehmen werden, manchmal ohne solche Adaption. … .Diese indianischen Gemeinschaften werden ihre alten Formen der/ Kooperative mit modernen Kooperativformen vereinen ..” Das ist die Lösung.

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