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Staatsstreich auf Raten

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Vor 40 Jahren verbanden sich die „Caudillos“ vom rechten Flügel der beiden traditionellen Parteien, der „Colorados“ und der „Blancos“, Terra und Herrera, zu dem vorletzten Staatsstreich in Uruguay. Das Militär intervenierte nicht. Die von der Polizei abhängige Feuerwehr genügte. Linkspolitiker wurden auf kurze Zeit auf die in Ruinen liegende Quarantäneinsel Isla de Flores vor Montevideo verbannt. Andere emigrierten' nach Buenos Aires. Schulkameraden und Fraktionskollegen grüßten einander auf der Straße nicht mehr, wenn die einen der Diktatur dienten und die anderen sie bekämpften. 1938 wurde die Demokratie wiederhergestellt, die ihre Biegsamkeit im legalen Wechsel von Verfassungen zu beweisen schien. Uruguay galt jahrzehntelang als legalistische Oase in der Wüste der von ständigen Revo-lutiönchen heimgesuchten lateinamerikanischen Länder. : . .uüx dam tfrw $vro<a i9U

Es gehört zu. den historischen,. Kuriositäten, daß die Tupamaros, die demokratische Regierungen durch ein totalitäres Linksregime ersetzen wollen, damit die gegenteilige Wirkung erzielten. 2500 Terroristen warten auf die Urteile der Militärjustiz. Ihr blutiger Aufstand hat die nach ihrer Tradition unpolitischen uruguayischen Offiziere zu den entscheidenden Faktoren des Landes gemacht. Zwar war es die Auseinandersetzung um den parlamentarischen Wortführer der Tupamaros, Senator Enrique Erro, die sich als auslösendes Element erwies. Die Mehrheit des Parlaments weigerte sich, seine Immunität aufzuheben und den politischen Prozeß einzuleiten, als es die Militärjustiz und der Präsident J. M. Bordaberry für ein Hochverratsverfahren verlangten. Aber der Konflikt zwischen den Streitkräften und den traditionellen Parteien begann schon am 1. Februar. Als damals der Senator Amilcar Vasconcellos (auf dem linken Flügel der „Colorados“) den Generälen in einer Reportage verfassungswidrige Tendenzen vorwarf und Bordaberry ihm in einer gemäßigten Rundfunkrede widersprach, rollten die Tanks zum Präsidentenpalais. Er einigte sich schließlich mit den Offizieren und bildete mit ihnen einen „Nationalen Sicherheitsrat“, der theoretisch beratende, praktisch aber entscheidende Funktionen ausübte. In der folgenden Auseinandersetzung identifizierte sich Bordaberry, der wiederholt seinen Sympathien für das brasilianische Regime Ausdruck verliehen hatte, mit den Militärs. Seine Feindschaft £üm' Parlament beruht nicht auf dem Druck der Offiziere, sondern auf der Weigerung' einflußreicher Politiker, vor allem des jetzt — mit anderen — nach Buenos Aires geflüchteten Senators Wilson Ferreira Aldunate, des Führers der „Blanco“-Mehrheit, an einer „Regierung der Nationalen Einheit“ teilzunehmen.

Man wird freilich an berühmte Vorbilder erinnert, wenn J. M. Bordaberry am Morgen des 27. Juni das Repräsentantenhaus und den Senat auflöste, die gleichzeitig von den Streitkräften besetzt wurden, aber dabei den Journalisten verbot, ihm „diktatorische Absichten“ zu unterstellen. Der Innenminister untersagte Nachrichten oder Kommentare, die das Prestige der Regierung und der Streitkräfte beeinträchtigen könnten und sich auf die Auflösung des Parlaments oder auf Verhaftungen beziehen. Die Schulen wurden geschlossen, ein Versammlungsverbot verfügt. Berichte der Auslandskorrespondenten wurden von der Zensur nicht durchgelassen. Im Rundfunk durfte über Demonstrationen, Streiks oder die sofort beginnenden „Besetzungen“ von Behörden und Betrieben nicht berichtet werden. In einer Rede, die zweimal über alle Sender verbreitet werden mußte, berief sich der Präsident auf seine „demokratische Berufung“ und erklärte, daß er mit seinem Staatsstreich in Wahrheit die „großen Ziele der Verfassung“ verteidige, der zufolge er nur bis 1976 im Amt bleibe. Auch sprach er dem von ihm zu schaffenden 20köpfigen Staatsrat die Rolle zu, eine neue Verfassung auszuarbeiten. Im übrigen meinte er, daß korrektes Auslandskapital willkommen sei und wies erneut jede Form von marxistischer Ideologie zurück. Damit wird klar, daß sich das neue Regime nicht an dem peruanischen, sondern dem brasilianischen Modell orientiert. Die uruguayische Regierung erklärt, daß das Land nicht ohne und noch weniger gegen die Arbeiterschaft geführt werden könne. Die Gewerkschaften haben das Land durch den Generalstreik weitgehend gelähmt. Trotzdem verhandelte der Innenminister mit ihnen, während die Straßendemonstrationen nicht abrissen. Bisher kam ein Student ums Leben, der mit anderen Demonstranten öffentliche Verkehrsmittel mit Steinen beworfen hatte und in eine Schlägerei mit Soldaten verwickelt wurde. Dies zu vertuschen, gelang auch der Zensur nicht.

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