Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Nach Goularts Sturz
Drei Tage lang fragte man in Montevideo: „Wo ist Goulart?“ Beamte und Journalisten warteten auf dem offiziellen Flughafen Car-rasco. Ein brasilianisches Privat-flugzeug traf ein. „Das ist Goulart.“ Er war es nicht. Dieses Spiel wiederholte sich, bis die reizvolle und elegante Frau Goulart mit ihren Kindern von fünf und sieben Jahren auf einem, und am nächsten Tag Jango Goulart auf einem anderen Militärflugplatz landeten. Ein Staatsrat, zwei Unterstaatssekretäre und zwei Senatoren erwarteten sie — aber keine Ehrenkompanie ... und keine Reden. Nicht ein Präsident, sondern ein politischer Flüchtling wurde begrüßt. Er fuhr in die Villa seines Freundes Joao Alonso Miri-teghi, den er zum Kulturattaohe der brasilianischen Botschaft in Montevideo gemacht hatte. Sie liegt in Solymar, einem der vielen neuen Badeorte in der Umgebung von Montevideo. Die Landschaft erinnert an den Berliner Grunewald: mühsam wachsende Bäume auf weißem Sand. Denn der Strand des Rio de la Plata, des 30 Kilometer breiten, meist braunen Riesenflusses, liegt einige hun-
Gouverneur De Bartos: Sieg! ?Mo: AP dert Meter entfernt. „loh kam hierher, um zu denken ... ich bin nicht zurückgetreten ... habe von dem Putschplan gewußt... für den sie die Waffe des Antikommunismus schwenken ... Aber alle wissen, daß meine Politik immer nationalistisch war... ich war niemals Kommunist ... Ausländische Interessen stehen hinter dem Putschplan...“, sagte er den Journalisten.
Nun, das Ausland, besonders das der Petroleumgesellschaften, wurde auch für den Selbstmord des Präsidenten Getulio Vargas, des geistigen Vaters von Goulart, den Rücktritt des Präsidenten Quadros und 1961 für die Beschränkung der Präsidentenrechte beim Amtseintritt Goularts verantwortlich gemacht. Aber in allen Fällen waren es die brasilianischen Konservativen und die Offiziere, die den Szenenwechsel im brasilianischen Drama inszenierten.
Goulart wollte die feudalistische Agrarstruktur durch die Enteignung unproduktiver Güter überwinden; hierzu mußte aber die Verfassung geändert werden, nach der die Entschädigung voll und bar zu leisten ist. Er wollte die Universität, das Steuerwesen (50 Prozent wird entzogen) und vor allem das Wahlrecht ändern; auch Analphabeten und Soldaten sollten stimmen können. Als das Parlament alle diese Vorlagen systematisch verschleppte, sagte Goulart in seiner „Botschaft“ zu der neuen Sitzungsperiode: „Die Erfüllung der Pflichten des modernen Staates ist mit einer zögernden Gesetzgebung nicht zu vereinbaren.“ Diese Drohung mit der „Demokratie des Volkes“, dem „Plebiszit“ unter Umgehung des Parlaments, wird jetzt als Verfassungsbruch dargestellt, zu dessen Abwehr die Absetzung des Präsidenten geboten erschien.
Noch fragwürdiger ist das andere Argument, mit dem der Präsident des Repräsentantenhauses Ramieri Mazzili zum „provisorischen Bundespräsidenten“ ernannt wurde: der Posten sei verwaist, da Goulart geflohen sei. Die „Flucht“ Goularts ist aber nicht die Voraussetzung, sondern die Folge des Rutsches.
Nun ist Goulart Präsident der Arbeiterpartei; als er, der Vizepräsident, 1961 die Nachfolge von Quadros antreten sollte, war er gerade in Peking. Seine sogenannte „unabhängige Politik“ bestand darin, daß er Kollektivmaßnahmen gegen Fidel Castro ablehnte und die Beziehungen zu Moskau normalisierte, ohne freilich die Kommunistische Partei offiziell zu legalisieren. Er verstaatlichte Elektrizitätsgesellschaften und — kürzlich — Petroleumraffinerien und diskriminierte das Auslandskapital. So griff ihn die Rechte unter Führung von Dr. Carlos Lacerda, des Gouverneurs von Guanabara, in chronischer Campagne als „Handlanger des Kommunismus“ an. Lacerda erklärte jetzt, die Sowjetunion sei zum ersten Male ohne Krieg besiegt worden.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!