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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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ENTTHRONUNG DES VATERS) Der Verfassungsgerichtshof der Deutschen Bundesrepublik hat Gesetze, die der Bundestag bezüglich der Rechtsstellung der Familie erlassen hafte, als im Widerspruch mit dem Grundgesetz stehend, aufgehoben. In diesem war nämlich die Frau dem Manne untergeordnet worden. Es hatte lebhafteste Auseinandersetzungen hervorgerufen. Auch ein deutscher Theologe versuchte in einem dicken Buch nachzuweisen, daf) die Unterordnung im Willen Gottes und der Natur begründet sei. Es ist mehr als ein Streit um den Vater: es geht nämlich um die große Frage, ob der gegenwärtig wieder im Vormarsch begriffene Paternalismus und ein gewisses männisches Autoritätsdenken in unserer westlichen Gesellschaft siegen werden. Zufällig hat gleichzeitig ein anderer Theologe, übrigens der derselben geistlichen Gesellschaft angehörende Schweizer Soziologe P. Dr. J. David, bei der Sommertagung des Katholischen Akademikerverbandes Oesterreichs in Seggau ausgeführt, daß die Zeif- verhälfnisse einen vollständigen Wandel der Familie herbeigeführt haben. Die selbständige Stellung der Frau ist eine Tatsache geworden. Ihr trägt der deutsche Verfassungsgerichfshof Rechnung, wenn er die Frau als „gleichberechtigten familiären Ordnungsfakfor' neben dem Mann in der Familie anerkennt. Es ist leider gerade in christlichen Kreisen oft noch wenig Verständnis für diese Entscheidung zu finden. Eben deshalb spricht man von einer „Entwürdigung des Vaters , von einer „Entthronung des Vaters”, und glaubt, durch Gesetze und äußerlich-autori- färe Mittel seine Position wiederherstellen zu können. Wobei ganz vergessen wird, daß sich die Väter den Verlust dieser Stellung weithin selbst zuzuschreiben haben. Es wäre für den Mann eine zukunftsweisende Aufgabe: durch innere Kraft, Persönlichkeit, Würde und Güte wiederzuerlangen, was verloren wurde. Richtig in diesem Sinne verstanden, könnte die „Entthronung des Vaters” der Beginn seiner Wiedergeburt sein.

„OPERATION MILAZZO" II. Teil. Fast zwei Monate, das heifjt seit den Wahlen vom 7. Juni, hat die Politik in Sizilien fast völlig geruht. Nun endlich hat der Regionalrat, und zwar 45 von den 59 Abgeordneten des kleinen sizilianischen Parlaments, den Präsidenten in der Region in der Person des Abgeordneten Silvio Milazzo wiedergewählt. Der Gutsbesitzer von Colfa- girone, Führer der neuen aufoijomisfischen „Christlich-Sozialen", ist wieder Herr auf der Orangeninsel. Das Groteske der Wahl Milazzos besteht darin, daß e r, der Christlich-Soziale, nicht etwa die Stimmen der 34 Democristiani erhalten hafte, sondern in erster Linie die der extremen Linken, die ihm dann, wenn auch nur mit zwei Stimmen Mehrheit, gegen den Gegner der Democrazia Cristiano den Sieg zuschanzte. So ist es dem Mann, dem es schon in der Vergangenheit geglückt war, mit Hilfe dieser extremen Linken an die Macht zu kommen, noch einmal gelungen, Regierungschef zu werden. Die „Operation Milazzo” geht also weiter. In ihrem Gefolge trift nicht nur eine Vertiefung des Spaltes zwischen den „getrennten Brüdern”, den Christlichen Demokraten und den Christlich- Sozialen, auf, sondern eine alles andere als erfreuliche Polarisation der Politik. Wenn Milazzo um sich blickt, beschleicht ihn da nicht Unbehagen über jene Kräfte, die ihn ein zweites Mal in den Sattel hoben? Aber auch seine christlich-demokratischen Gegner! Fühlen sie sich wirklich wohl in einer Front mit den Neofaschisten und Monarchisten? Hie Linksblock — hie Rechfsblock. Das ist für einen wirklichen christlichen Demokraten keine Alternative. Weder in Sizilien noch In Italien, noch anderswo …

EIN SCHRITT, DER ZWEIERLEI BEDEUTET. Jede kleinste Aenderung, die das Verhältnis Kirche und Staat in einem kommunistisch regierten Land betrifft, muß besonders sorgfältig auf ihre möglichen Fernwirkungen hin geprüft werden. Die Nachricht, wonach sich die Regierung in Budapest entschlaf), einem jahrelangen Provisorium die beinahe unerträglich gewordene Schärfe zu nehmen, indem sie die Ernennung der bisherigen Vikare von vier Diözesen zu apostolischen Administratoren offiziell gufgeheißen und bestätigt hat, ist in der Tat nicht einfach zu beurteilen. Dieser Schritt der ungarischen Regierung stützt sich auf eine alte und vor wenigen Monaten erneuerte Regierungsverordnung, die bestimmt, daf) die Ernennung kirchlicher Würdenträger der Bestätigung durch die staatlichen Be hörden bedürfe. Auch müssen diese den Eid auf die Volksrepublik leisten. Man hat damals in westlichen Kommentaren vermutet, die ungarische Regierung könnte mit dieser Verordnung beabsichtigen, einige von ihr verursachte, aber begreiflicherweise ihr vielleicht lästig gewordene Provisorien zu beenden. Man dachte hier vor allem an die Lage um Kardinal Mindszenty, der sich bekanntlich seit November 1956 im amerikanischen Botschaftsgebäude in Budapest aufhält, dann aber auch an den Umstand, daf) zwei Ordinarien, der Bischof von Väc, Jozsef Pėtery, und der Bischof von Veszprem, Bertalan Badalik, seif Jahr und Tag in Verbannung leben und ihre Diözesen, wie auch die von Kardinal Mindszenty, von Vikaren geleitet werden. (Hierzu kommt die verwaiste Erzdiözese der 1956 verstorbenen Erzbischofs Czapik in Eger.) Man befürchtete, daf) die Ernennung neuer Bischöfe durch die staatliche Behörde, wie dies die Regierungsverordnung für den Fall, falls die kirchlichen Würdenträger ihrer Eidespflicht nicht nachkämen, ausdrücklich in Aussicht stellte, den Anfang eines Schismas in diesem schwergeprüften Land nach sich ziehen könnte. Dazu kam es, wie die letzte Nachricht zeigt, vorläufig zumindest, nicht. Die Bestätigung der vier apostolischen Administratoren — Weihbischof Kovacs für Väc, Prälat Schwarz-Eggenhofer für Eszter- gom, der Erzdiözese Kardinal Mindszenfys, und der zwei weiteren bisherigen Vikare in Eger und Veszprem, der Prälaten Brezanoczy und Klempa — kann also einen Schritt auf dem Weg einer gewissen Konsolidierung bedeuten —, sie bedeutet aber auch, daf) einer Aenderung der Lage der drei in ihrer Freiheit eingeschränkten Bischöfe sfaaflicherseifs dauernd Hindernisse entgegengesetzt werden. Diese betrübliche Erkenntnis muf) bei der Beurteilung der Nachricht mit in Kauf genommen werden.

JUBEL IN POLEN. In keinem anderen Land der Erde habe er so etwas erlebt, gestand der, was Kundgebungen anlangt, nicht unverwöhnte US-Vizeprösident Richard Nixon. Es war, als habe sich das ganze polnische Volk friedlich „erhoben", um seine innere Zugehörigkeit zur westlichen Welf, sein Vertrauen in Amerika zu bezeugen. Gewif), auch die Wahltaktik spielte eine Rolle. Der Parteimann Nixon dachte unterschwellig an die drei Millionen Amerikapolen, auf deren republikanisches Votum er bei den nächsten Wahlen rechnet. Das ist aber nicht alles. Jetzt war der rechte Augenblick, da nach dem Rußlandbesuch der erste eines US-Pplifikers in Polen gewagt werden konnte, ohne dabei Polens Volk und Regierung in eine ppiriljche Lage zu bringen. Seinen Warschauer Besuch muf) man mit Nixons großartiger Rede am Tage zuvor in Zusammenhang sehen. Sie war im sowjetischen Fernsehen überfragen, von der parteiamtlichen „Iswesfija” im Wortlaut abgedruckt worden. „Eine Welt der offenen Herzen" hatte er gefordert, in der die Völker unter der von ihnen gewählten Ordnung leben können, eine Welt, in der die USA und die UdSSR in friedlichem Wettstreit für einen höheren Lebensstandard ihrer Kinder und Kindeskinder arbeiten würden. Nixon forderte eine offene Tür in der Sowjetunion für die Amerikaner und eine offene Tür für die Russen in Amerika. Was lag da näher, als auf dem Heimweg die nächste Tür aufzusuchen: Warschau! Das polnische Volk hat sie ungescheuf weit aufgerissen, so daf) die ganze Welt es sehen konnte. Verstehen wir diese Ereignisse richtig: sie bedeuten nicht, daf) in absehbarer Zeit die Politik der USA oder Polens sich ändern wird. Polen bleibt im Ostblock und die USA an der Seite ihrer Verbündeten. Es bedeutet eher, daf), in Ost und West, die mächtigen und weniger mächtigen Alliierten Polens und USA auf diese Fühlungnahme Rücksicht werden nehmen müssen. Das Scheitern des neueren Brentano-Planes nämlich, Warschau und Prag Nichtangriffspakte und diplomatische Beziehungen anzubiefen, erscheint in diesem Lichte als besonders bedauerlich.

EISENHOWER-MOSKAU, CHRUSCHTSCHOW- WASHINGTON. Das Ergebnis eines einmonatigen Briefwechsels, den Präsident Eisenhower begonnen hafte, wurde nunmehr der Weltöffentlichkeit bekantgegeben. Im frühen Herbst besucht der Regierungschef der Sowjetunion die Vereinigten Staaten, deren Präsident kurz darauf diesen Besuch erwidern wird. Persönliche Kon- faktnahmen sind der offizielle Zweck dieser Visiten. Chruschtschow wird sich zwei Tage in Washington aufhalfen, dann zehn Tage lang die Vereinigten Staaten bereisen. Damit geht ein Wunsch Nixons in Erfüllung, der es als dringend erachtete, die sehr geringen Kenntnisse Chruschtschows vom Wesen und der Potenz der USA und ihrer Bevölkerung zu erweitern. Nixon sieht in diesem Mangel an Kenntnissen geradezu eine Gefahr für den Weltfrieden. Nun ist es so weit, die Einladungen sind perfekt. Bevor diese Staatsbesuche Wirklichkeit werden, dürften hier und dort noch manche Minen hochaejagf werden. Hüben und drüben gibt es Männer und Kräfte, die nichts mehr fürchten, als eine echte Begegnung zwischen den beiden stärksten Mächten der Welt.

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