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Die Rechnung ging nicht auf

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Als der Generalsekretär der brasilianischen Kommunistischen Partei (Richtung Chruschtschow) Luis Carlos Prestes auf der Rückfahrt aus Moskau in Ost-Berlin dem SED-Organ „Neues Deutschland“ kürzlich ein Interview gab, sprach er von dem „Alliierten Goulart“ und antwortete auf die Frage nach der Haltung der brasilianischen Offiziere: „Auch hier zeigt sich ein schneller Demokratisierungsprozeß. In diesem Zusammenhang muß die politische Bewegung der Sergeanten erwähnt werden. Auch ein Teil der Offiziere ist fortschrittlich. Außerdem besitzt das brasilianische Heer — im Gegensatz zu anderen lateinamerikanischen — eine demokratische Tradition. Der Präsident hat heute in den Streit-

kräften eine Unterstützung wie kein anderer vor ihm. Die Reaktion kann heute keinen Putsch unternehmen, ohne einen Bürgerkrieg zu riskieren, in dem sie vor den Wahlen besiegt würde.“

Prestes und Goulart haben sieh verrechnet. Der Generalstreik verpuffte in wenigen Stunden. Die Gewerkschaften versagten, nachdem die Offiziere ihre Funktionäre verhaftet hatten. Das Volk jubelte über den Sturz Goularts — statt gegen ihn zu demonstrieren. Nur einige Studenten protestierten. Die größte Überraschung bildeten freilich die Offiziere. Sie predigten Legalität, solange sie sich nicht provoziert fühlten. Als Goulart in einem Meeting vor 5000 Unteroffizieren seine politischen Forderungen wiederholte, die Vorgesetzten angriff und nach einem Ministerputsch der Sergeanten ihre disziplinarische Bestrafung ablehnte, erklärten die Militärklubs, Goulart breche die Grundprinzipien der militärischen Organisation. Die besten Freunde, wie Amaury Kruel, der Kommandant des II. Heeres in Sao Paulo, wurden zu den Führern der Revolution. Goulart ist nicht von feindlichen Politikern, sondern von den befreundeten Offizieren, und nicht, weil er das Parlament brüskierte, sondern weil er die Offiziere provozierte, gestürzt worden.

Dean Rusk hat von dem „verfassungsmäßigen Vorgehen“, der „Unterstützung der demokratischen Prinzipien“ gesprochen und die Mazzili-Regierung sofort anerkannt.Johnson hat jede Hilfe angeboten. Brasilien braucht sie. Die Inflation galoppiert (16 Prozent in zwei Monaten). 40 Milliarden Cruzeiros mußten 48 Stunden nach der Revolution gedruckt werden. Das Defizit des letzten Jahres beträgt eine Milliarde Dollar. Kurzfristig sind Auslandsschulden von drei Milliarden Dollar zu tilgen (?).

Washington erwartet, daß Brasilia jetzt mit Kuba bricht und die Beziehungen zu Moskau einfrieren läßt. Aus diesen maehtpolitischen Interessen übersieht man, daß der Staatsstreich der ideologischen Orientierung der „Allianz für den Fortschritt“ in höchstem Maße widerspricht. Er beweist wieder, daß die sogenannte „Oligarchie“ und die Offiziere auch in größten Staaten Lateinamerikas die überholten Formen des vorigen Jahrhunderts nicht zu überwinden vermögen. In ihrem Rahmen wird Goulart bald ungehindert aus der Emigration zurückkehren und in einigen Jahren wieder eine maßgebliche politische Rolle spielen können. Dann sind andere an der Reihe, nach Uruguay zu emigrieren. Verwechselt, verwechselt das Bäumelein!

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