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Vorspiel von 1848

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Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgten v.or hundert Jahren die Staatskanzleien, doch zugleich auch die Völker Euro- . pas das Gewitter, das sich in der zweiten Hälfte des Jahres 1847 über den Schweizer Bergen zusammenzog und das dann im November im „Sonderbundeskrieg“ zu kurzer, heftiger Entladung kam. Dieser aus lokalen Spannungen erwachsene Konflikt wurde nach den Worten Jakob Burck-hardts „von ganz kolossal unverhältnismäßigen Sympathien und Antipathien begleitet, nur weil er ein Exponent der allgemeinen Lage war“. So trug er wesentlich zur Erzeugung jener erregten Stimmung bei, die sich dann im folgenden Jahre in der großen europäischen Revolution von 1848 entladen sollte.

In der Schweiz selbst ging es bei diesem Konflikt im Grunde vor allem um die Berechtigung der kantonalen Souveränität, um die Frage also, ob die Eidgenossenschaft ein Staatenbund, eine lose Konföderation souveräner kleinstaatlicher Gebilde bleiben, oder ob sie ein Bundesstaat werden sollte, bei dem ein wesentlicher Teil der gesetzgebenden und der ausübenden Befugnisse in den Händen der Zentralgewalt liegen würde. Der Ausgang des Krieges brachte bei grundsätzlicher weitgehender Anerkennung der kantonalen Selbstverwaltung eine Entscheidung im bundesstaatlichen Sinn. Das wichtigste Ergebnis dieses letzten, auf Schweizer Boden geführten Krieges war die Bundesverfassung vom 12. September 1848, die heute noch in Kraft, entscheidend dazu beigetragen, hat, daß unser westlicher Nachbar die großen Krisen des zwanzigsten Jahrhunderts bis jetzt so gut hat überstehen können. Anlaß und Ergebnis des Schweizer Bürgerkrieges sind daher in vielem ähnlich denen des an zeitlicher und räumlicher Ausdehnung und Intensität ungleich gewaltigeren nordamerikanisdien Bürgerkrieges, der anderthalb Jahrzehnte später die Neue Welt erschütterte. Hier wie dort wurde um die Frage gerungen, ob die Binzelstaaten zum Abschluß von Sonderbündnissen untereinander, beziehungsweise zur Auflösung des Bundesverhältnisses berechtigt seien. Wie in Amerika, so fiel auch in der Schweiz die Entscheidung des Waffenganges zugunsten der dauernden Zusammenfassung und damit im Sinne des Bundesstaatsgedankens aus. Wie im Falle des nordamerikanischen, so wurde auch schon in dem des Schweizer Bürgerkrieges im Bewußtsein der Zeitgenossen, vor allem in der öffentlichen Meinung des Auslandes, der Konflikt durch einen weltanschaulichen Gegensatz überdeckt — wie in Amerika durch die Sklavenfrage, so in der Schweiz durch den Konflikt zwischen Konservativen und Liberalismus, da den evangelischen, freisinnigen Kantonen der Tagsatzungsmehrheit die katholischen, konservativen

Kantone des Sonderbundes gegenüberstanden. Daher nahm die liberale Bewegung in ganz Europa leidenschaftlich Partei für die Tagsatziung und gegen den Sonderbund, während die Großmächte des Kontinents mit ihren Sympathien auf der Seite der konservativen Kantone standen. Für den Block der konservativen Ostmächte, Österreich, Preußen und Rußland, war diese Haltung ja von vornherein selbstverständlich. Der Vorkämpfer einer Politik der europäischen Erhaltung und Legitimität, der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich, suchte daher auch die Großmächte zu gemeinsamer Intervention zu bewegen, da „der Kampf, der in der Schweiz bevorsteht, unser Kampf ist“. Er vertrat dabei die Ansicht, daß die in den Wiener Schlußakten von 1815 festgelegte Neutralität und Unverletzlichkeit der Schweiz die Beibehaltung der bisherigen Verfassung voraussetze. Da auch das Frankreich des Bürgerkönigs wegen der in Spanien wie in Ägypten aufgebrochenen Rivalität mit England sich aus der „Entente cordlale“ der liberalen Westmächte zu lösen und an die konservativen Ostmächte anzunähern begann und den Sonderbund ebenfalls insgeheim förderte, schien die außenpolitische Lage für die Tagsatzung zunächst keineswegs günstig.

Doch der englische Außenminister Lord Palmerston, „Lord Feuerbrand“, der erfolgreiche Gegenspieler des greisen Metternich, hielt die durch die liberale öffentliche Meinung gehemmten Kabinette des Festlandes durch Verhandlungen über gemeinsame Vermittlung so lange hin, bis die Tagsatzung in dreiwöchigem Feldzug der von Dufour geführten Exekutionsarmee die zahlenmäßig weit unterlegenen Truppen des Sonderbundes unter Salis-Soglio niedergeworfen hatte. Unter den österreichischen Freiwilligen in den Reihen des Sonderbundes war der bedeutendste wohl jener Fürst Friedrich Schwarzenberg, der „Landsknecht“, der als letzter fahrender Ritter überall zu finden war, wo es die konservative Sache zu verfechten galt, und den Erzherzog Johann sogar als Kommandanten der Sonderbundestruppen vorgeschlagen hatte. Die Bedingungen, die Schwarzenberg zur Ausrüstung seiner Truppen gestellt hatte, waren jedoch bei Metternich auf Widerstand gestoßen und so machte er den Feldzug als Freiwilliger und* Adjutant von Salis-Soglio mit, überzeugt, daß es ein großer politischer und strategischer Fehler sei,“ „daß die Diplomaten der konservativen Mächte diesen Vorposten so ohne Verteidigung ließen“.

Die liberale Bewegung in ganz Europa schöpfte denn auch aus dem raschen Sieg der Schweizer Liberalen stärkste Zuversicht — besonders natürlich innerhalb des Deutschen Bundes, wo das im , folgenden Jahr 4*njl so heißumstrittene Problern

„Bundesstaat oder Staatenbund““ ja ebenfalls zur Diskussion stand. „Im Hochland fiel der erste Schuß“, jubelte der revolutionäre Dichter Freiligrath, und der österreichische Geniehauptmann Moering schilderte in zwei anonymen Korrespondenzen in Kurandas „Grenzboten“ die politische Erregung, die die Ereignisse in der benachbarten Schweiz überall in Österreich ausgelöst hätten. In Salzburg drang, nach den Polizeiberichten, die Freude über den Sieg der liberalen Schweizer Kantone bis in die untersten Schichten der Bevölkerung. Die Aufnahme der flüchtigen Sonderbündler in Österreich wurde naturgemäß in liberalen Kreisen aufs schärfste kritisiert. Wenn ein grober Wiener Witz aber damals behauptete, daß „die Regierung, weil das Rindfleisch so teuer ist, jetzt Schweizer Ochsen hat kommen lassen“, so trifft dieses Urteil jedenfalls nicht so begabte Flüchtlinge, wie etwa den Luzerner Staatsschreiber Bernhard Meyer, der seiner neuen Heimat Österreich in der Folgezeit als Beamter wertvolle Dienste leisten sollte. Seine Lebenserinnerungen

Haben zusammen mit 3en RecKenscHafts-berichten des Obersten Franz von Elgger und des politischen Führers des Sonderbundes, Constantin Siegwart-Müller, dazu beigetragen, daß in dem Urteil der Geschichtswissenschaft auch der Standpunkt der Unterlegenen von 1847 zu Worte kam.

Die alten Gegensätze haben heute, nach hundert Jahren, längst ihre Schärfe eingebüßt und wenn auch, wie eben wieder die Schweizer Nationalratswahlen zeigten, die bürgerlichen Schichten nach wie vor in die annähernd gleich starken Gruppen der freisinnigen Radikaldemokraten und der Katholisch-Konservativen getrennt sind, so stehen doch heute überall in der Welt — wie gerade der in der Schweiz wirkende Nationalökonom Wilhelm Röpke, einer der geistigen Führer des modernen Neo-Liberalismus immer wieder betont — Katholiken und „Liberale“ in einer gemeinsamen Front, um die Freiheit der menschlichen Persönlichkeit gegenüber der drohenden Vergewaltigung durch die totalitäre Staats-'allmacht zu verteidigen. Viandante

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