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„Allende — oder Feuer am Pulverfaß“
Chile gleicht zur Zeit einem Munitionsdepot, das an allen Ecken brennt. Das ausdruckslose Gesicht der unifprniierten Wachen verrät keine Gefühle. Werden die Löschg Hte-'aös den Armeemagazinen hervorgeholt oder erfolgt in Kürze eine Detonation, die das marxistische Allende-Regime unter sich begraben wird?
Chile gleicht zur Zeit einem Munitionsdepot, das an allen Ecken brennt. Das ausdruckslose Gesicht der unifprniierten Wachen verrät keine Gefühle. Werden die Löschg Hte-'aös den Armeemagazinen hervorgeholt oder erfolgt in Kürze eine Detonation, die das marxistische Allende-Regime unter sich begraben wird?
In einem Punkt sind Allendes Anhänger und Gegner sich einig: „Chiles Schicksal hängt von der Armeeführung ab!“ Die Befürworter und Helfer der „Unidad Populär“, die Mitläufer des Präsidenten Allende also, behaupten: „Die Armee ist eine Institution des chilenischen Bürgertums, sie duldet nicht die marxistische Umformung des Staates und den sozialistischen Umbau der Wirtschaft.“ Allendes Gegner argumentieren hingegen: „Die Armee ist die Sicherheitsgarantie der Verfassung, infolgedessen kann sie die ständige Verletzung der Verfassung nicht untätig hinnehmen!“
Wo liegt die Wahrheit? Die chilenische Armee ist zweifellos eine Organisation, die große potentielle politische Macht besitzt. Es steht jedenfalls fest, daß die Armee alle Resultate der verschiedenen Wahlen seit dreißig Jahren respektiert hat, was eine Seltenheit in Lateinamerika ist.
Als die chilenische Christlichdemokratische Partei beschlossen hatte, daß sie im zweiten Wahlgang am 24. Oktober 1970 den marxistischen Kandidaten unterstützen werde, forderte sie energisch, daß ihr gewisse „konstitutionelle Garantien“ zugesichert würden. Unter den gesetzlichen Dispositionen verdient hiebei der Punkt 22 besondere Aufmerksamkeit, der expressis verbis zum Ausdruck bringt: „Allein und ausschließlich die bewaffneten Kräfte (Armee) und die Carabinieri (Polizei) verkörpern die öffentlichen Kräfte, die grundsätzlich berufsmäßig, diszipliniert, hierarchisch, loyal und unpolitisch, also nicht debattierende Körperschaften sind.“
Allende hat die Rolle der Armee im Leben der Institutionen des Landes sehr wohl gekannt, deshalb hat er sich seit Übernahme seines Mandats darum bemüht, die Armeeführung oder wenigstens ihr Wohlwollen für seine Pläne zu gewinnen. Die Regierung verschaffte der Armee und den Carabinieri wirschaftlicl und soziale Begünstigungen. Der Präsident sprach oft vom militärischen Prestige, er lud sogar des öfteren die Armeeführer zu Konsultationen ein.
Dennoch zeigten die Armeeführer kein Vertrauen zur aktivistischen Politik des Jose Toha, der im ersten Jahr des Allende-Regimes Innenminister war. Warum? Weil Tohas Politik es ermöglichte, daß trotz konstitutioneller Garantien bewaffnete marxistische Stoßtrupps aufgestellt wurden. Im Dezember 1971 traten zum erstenmal bewaffnete Jugendbanden in Santiago gegen demonstrierende Frauen in Aktion. Bekanntlich haben Chiles verbitterte Frauen gegen den Lebensmittelmangel und Fidel Castros pompösen Besuch demonstriert. Toha ist Mitglied der Sozialistischen Partei, und einer der intimsten Freunde Allendes. Im Laufe der Regierungsumbildung machte Allende ihn zum Verteidigungsminister. Die neue Regierung wollte dadurch ihre Kontrolle über die Armee verstärken; die hohen Generäle ihrerseits hofften, Toha besser überwachen und an der Aufstellung weiterer bewaffneter Banden hindern zu können. Es ist noch eine offene Frage, wer wen besser „kontrolliert“. Die Antwort wird in den kommenden, scheinbar dramatischen Wochen erteilt werden. Gewisse Sektorenleiter der „Volkseinheit“ sind der Ansicht, daß ihre „Volksmilizisten“ — eigentlich bewaffnete, ideologisch geschulte Truppen — einmal noch die reguläre Armee ersetzen oder mattsetzen könnten.
Wie wird sich die Armee verhalten? Ein hoher lateinamerikanischer Offizier meinte dazu: „Es ist wahrscheinlich, daß die Armee in Chile die Tradition und die Verfassung respektieren und in die Entwicklung der Politik nicht eingreifen wird. Solange allerdings, als der Präsident seinerseits die Verfassung achtet und fähig ist, die Führung des Landes in seinen Händen zu behalten. Dennoch besteht, wenigstens theoretisch, die Möglichkeit einer Intervention der Armee für den Fall, daß der Präsident die Kontrolle über die Regierung verliert. Unter dem Druck extremistischer Elemente würden Anarchie, Chaos und Bürgerkrieg drohen. Nur dann würde die Armee intervenieren, obwohl sie gegen die Diktatur ist, um die Ordnung in Chile herzustellen und für die allgemeine Sicherheit vorübergehend zu sorgen.“
Für den ausländischen Beobachter ist das heute nur ein Spiel mit Möglichkeiten, für Chile jedoch eine drohende, nahe Gefahr und ein Spiel mit dem Feuer am Pulverfaß.
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