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Tödliches Teamwork

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Ein Land, vor drei Jahren aufgebrochen, um Demokratie und Marxismus zu praktizieren und die Vereinbarkeit der beiden unter Beweis zu stellen, ist drauf und dran, an diesem Vorhaben zu scheitern. Wenn kein Wunder geschieht — woran wird dann der Kommunismus mit menschlichem Antlitz auf chilenische Art gescheitert sein? Die Linke wird den amerikanischen Imperialismus des Meuchelmordes am chilenischen Experiment bezichtigen. Die Rechte wird ihre Hände in Unschuld waschen und alles einerseits auf die innere Uneinigkeit, anderseits auf den Radikalismus und Dogmatismus der Linken schieben. Was hat aber Chile wirklich dorthin gebracht, Wo es heute ist?

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Ein Land, vor drei Jahren aufgebrochen, um Demokratie und Marxismus zu praktizieren und die Vereinbarkeit der beiden unter Beweis zu stellen, ist drauf und dran, an diesem Vorhaben zu scheitern. Wenn kein Wunder geschieht — woran wird dann der Kommunismus mit menschlichem Antlitz auf chilenische Art gescheitert sein? Die Linke wird den amerikanischen Imperialismus des Meuchelmordes am chilenischen Experiment bezichtigen. Die Rechte wird ihre Hände in Unschuld waschen und alles einerseits auf die innere Uneinigkeit, anderseits auf den Radikalismus und Dogmatismus der Linken schieben. Was hat aber Chile wirklich dorthin gebracht, Wo es heute ist?

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Eines sollte man sich in diesem Augenblick, in dem Allende mit allem, was dieser Mann verkörpert, am Rande eines Abgrundes steht, vergegenwärtigen: Abgesehen von einer sehr frühen Anlaufphase unmittelbar nach Allendes Amtsantritt hatte Chile seither keinen Monat, keine Woche Ruhe, seinen Weg zum Sozialismus, wie Allende ihn verstand, zu suchen. Chiles Feinde und Chiles Freunde haben ein perfektes, tödliches Teamwork geliefert.

Vor allem in der letzten Zeit standen Allendes Fehler im Vordergrund der internationalen Aufmerksamkeit. Sollte Allende fallen — aus der „Weltpresse“ wird der Leser aller Haut- und politischen Farben dann erfahren, daß Allende wirtschaftlich gescheitert ist, ein Opfer vor allem von Entscheidungen, die ihm der linke Flügel seiner Volksfront aufgedrängt hatte. Aber haben nicht Allendes Feinde im Inneren wie im Äußeren alles unternommen, um einen wirtschaftlichen Erfolg der Unidad Populär zu verhindern, Allende vor allem die wirtschaftspolitische Arbeit zu erschweren, wo immer es möglich war? Dabei dürften die oppositionellen Kräfte im Inneren des Landes großzügigste Unterstützung von außen genossen haben. Man ahnt darüber mehr als man weiß, aber immerhin, einige Male riß die Nebelwand doch auf.

Die Verstaatlichung der chilenischen Kupferminen war für deren Mutterkonzern in den USA sicher ein harter Sehlag. Aber daß hier die Ausbeutung eines Landes im größten Stil betrieben worden war, jahrelang und praktisch ungehindert, kann doch nicht geleugnet werden, und wahr ist auch, daß die von Allende enteigneten Anlagen längst und reichlichst und nicht zuletzt auf Kosten der chilenischen Volkswirtschaft amortisiert waren. Allende mußte die Minen enteignen. Mit welchen Mitteln der amerikanische Kupferkonzern seinen Privatkrieg gegen Allende führte, wurde nur gelegentlich bekannt, man erfuhr dar-

über allenfalls, wenn chilenische Erzlieferunigen im europäischen Ankunftshafen beschlagnahmt wurden.

Wahrscheinlich war der Kupferkonzern wesentlich erfolgreicher als die ITT mit ihrem spektakulären Angebot, dem US-Geheimdienst CIA eine Million Dollar für den Sturz Allendes zu zahlen; das Angebot wurde selbstverständlich abgelehnt, und eine Million Dollar war auch nicht besonders viel. Man kann nur ahnen, in welchem Ausmaß, mit welchen Mitteln und mit welchem Erfolg amerikanische Konzerne (und vielleicht auch die USA als Staat) einen unsichtbaren Krieg gegen Allende führten. Kein Geringerer als Kissinger soll eine ursprünglich tolerante Haltung gegenüber Allende ziemlich plötzlich (und in einer sehr frühen Phase) korrigiert haben.

Aber die Linke hat den amerikanischen Imperialismus in seinen Bemühungen, Allende zu stürzen, trefflichst unterstützt. Linke Dogmatiker aller Länder strömten nach Chile, um diesem armen Land alle Modelle, die anderswo versagt hatten, anzubieten und der Theorie über die Praxis zum Sieg zu verhelfen, sprich „Allendes Abgleiten in den Opportunismus“ zu verhindern. Nur eine größere Portion Opportunismus hätte Allende helfen können, sein Regime so zu verankern, daß auf lange Sicht immer mehr Sozialismus hätte realisiert werden können. Uberaus aufschlußreich liest sich da das knapp zwei Jahre zurückliegende Gespräch zwischen Allende und Regis Debray — es ist symptomatisch für das Bestreben, Allende auf einen kompromißlosen Kurs festzulegen. Der Effekt war mörderisch für Allendes demokratisch-marxistischen Weg, denn auf diese Weise wurde Allendes linken Kritikern innerhalb Chiles so der Rücken gestärkt, daß es für Allende bald nicht mehr möglich sein konnte, einen pragmatischeren, weniger an der Doktrin als an den Gegebenheiten des Landes und der jeweiligen aktuellen Situation orientierten Kurs zu steuern.

Die Feinde von außen haben leider nicht erkannt oder wollten nicht erkennen, was in Chile mit Allende, im Positiven wie im Negativen, auch und gerade für sie auf dem Spiel stand. Denn es war (und ist sogar nocht heute, vielleicht daher die Kompromißlosigkeit der linken Opposition gegen Allende) keineswegs ausgemacht, daß Allendes demokratischer Weg nicht in einen Weg zu einem Marxismus münden konnte, der, etwa auf der Linie des demokratischen Sozialismus, für Chile und Lateinamerika den verrammelten Weg zur sozialen Evolution, vor der allen echten Revolutionären so graut, hätte öffnen können — weg vom Kommunismus kubanischen Musters.

Sollte Allende und alles, wofür dieser mutige und tragische Mann stand, nun stürzen — es wäre kein Anlaß zur Freude für seine Feinde, oder nur für eine sehr kurzsichtige Freude. Wenn Allende fällt, und wenn, was in dieser Situation kaum zu bezweifeln ist, nicht Chiles Linke, sondern die Rechte an die Macht kommt, wird „ein bißchen Fortschritt“ in Chile schwieriger sein als je zuvor. Was ibedeutet, daß die politisch reife, bewußte, geschulte, aktive Arbeiterschaft dieses Landes wieder in eine Oppositionsrolle gedrängt wird und daß die sozialen Gegensätze härter als zuvor aufeinanderprallen. Denn selbst der christlich-demokratische Vorgänger Allendes, Euduardo Frey, der die Möglichkeiten eines dritten Weges für Chile aufgezeigt hat —und Allende wurde ja mit den Stimmen der Christlichdemokraten, gegen das Versprechen, Verfassung und demokratische Grundrechte zu wahren, Präsident! —, stünde als möglicher Nachfolger Allendes seinerseits unter einem Druck, der ihm wahrscheinlich den Weg der Sozialreform erschweren oder blockieren würde. Was nach Allende käme, wären möglicherweise neue, harte soziale Konfrontationen und — was zu befürchten ist — ein langsames Reifwerden Chiles, des lateinamerikanischen Landes mit der politisch geschultesten, bewußtesten Arbeiterschaft, für den Kommunismus kubanischer Prägung — also das, was Allende selbst und seine Gegner am wenigsten wollten.

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