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Offert ans Bürgertum

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Die marxistische Regierungskoalition Chiles ist wegen der Sozialisierung der Industrie in sich gespalten. De vereinigten Oppositionsparteien ihrerseits berufen sich auf 54,70 Prozent der Wählerstimmen, die sie auf sich vereinigen konnten und sind selbstverständlich strikt gegen jede weitere Enteignung. Allendes kommunistisch-sozialistische Koalition hingegen interpretiert ihren Stimmenzuwachs als klare Forderung der „Werktätigen“ nach intensiver Sozialisierung.

Allende wird das marxistische Experiment vorantreiben, die beiden Kammern des Parlaments, in denen die Opposition die Mehrheit hat, werden es bekämpfen. Da die Opposition die zum Sturz des Präsidenten notwendige Mehrheit nicht erreichen konnte, behält der Präsident sein Vetorecht gegen parlamentarische Initiativen. Interessanterweise drohen die gefährlicheren Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierungskoalition. Über Strategie und Taktik der „chilenischen Revolution“ existiert Unstimmigkeit zwischen den moskautreuen Kommunisten und den Sozialisten Allendes. Sozialisten und Kommunisten streiten darüber, ob fürs erste „eine konservative Konsolidierung der Wirtschaft“ oder eine radikale Forcierung der „marxistischen Revolution auf dem Wirtschaftssektor“ angestrebt werden soll.

Die Spannung innerhalb der Uni-dad Populär zwischen Allende-Sozialisten und Corvalän-Kommuni-sten kann nicht mehr vertuscht werden. Eine Synthese der beiden revolutionären Strategien wurde bisher noch nicht gefunden. Es besteht eine grundlegende ideologische Dis-

krepanz zwischen Kommunisten und Sozialisten. Kurioserweise sind dabei die nach Moskaus Pfeife tanzenden Kommunisten viel konzilianter als Allendes radikale Sozialisten.

Der Wirtschaftsminister, Orlando Millas, ist ein prominenter Hardliner der KP. Sein im Kongreß eingereichter Vorschlag sah die Enteignung von 49 Schlüsselunternehmen vor, wobei mit den Eigentümern Kompensationsverhandlungen eingeleitet werden sollten.

Die Sozialisten halten jedoch den Millas-Plan für viel zu zahm, weil er „unannehmbare Kozessdonen an das Establishment“ enthalte. Ein früherer Gesetzesvorschlag der Allende-Partei, der auf die Sozialisierung von 91 Unternehmen abzielte, wurde von der Oppositionzurückgewiesen. Der Millas-Plan wird derzeit von der Presse eingehend seziert.

Luis Corvalän argumentierte in einem Brief an den sozialistischen Generalsekretär Altamirano damit, daß die Überführung der Betriebe und Unternehmen in den sozialistischen Bereich „legalisiert“ werden müsse, damit „im Interesse Chiles die gegenwärtige Situation so rasch wie nur möglich normalisiert“ werden könne. Corvalän ist der Ansicht, daß die Unidad Populär ihre Ziele nur dann erreichen könne, wenn gleichzeitig mit der „Stärkung der Arbeiterklasse“ auch der Mittelstand auf die Seite der Regierungskoalition herübergezogen werden könne. Die Sozialisten pfeifen aber auf die Mitwirkung des Mittelstandes und auf die baldige Konsolidierung der Regierungsmacht. In seinem Antwortbrief sprach Alta-

mirano offen aus, daß die Kommunisten offenbar sehr konziliant gegenüber den Oppositionsparteien und dem Mittelstand geworden seien. Er geht dabei so weit, den Wirtschaftsminister und Erzkom-munisten Moskauer Prägung, Millas, zu bezichtigen, „dem Bürgertum und seinen Parteien seine Garantien zu offerieren“. Wenn diese Politik

akzeptiert werden würde, müsse sie „ernste Brüche in der Allianz provozieren!“

Die prekäre Wirtschaftslage drängt die Regireung zum baldigen Handeln. Vorrang hat dabei die Bremsung der gigantischen Inflation trotz der hektischen Ankurbelung der Produktion auf allen Gebieten. Unidad Populär kann sich keine Minute mehr auf den Lorbeeren des Wahlerfolges ausruhen. Schwere Monate warten auf die Regierungskoalition und die Unstimmigkeiten zwischen Kommunisten und Sozialisten komplizieren nur noch die Situation.

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