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Quo vadis, Sozialismus?

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Nicht bei allen westeuropäischen Arbeiterparteien ticken die Uhren gleich: Versuchen die einen mit der Zeit mitzuhalten und überholten marxistischen Ballast abzuwerfen, drehen andere das Rad der Zeit zurück und beschwören die dogmatische Vergangenheit. So geschehen in Großbritannien, wo auf dem Labour-Parteitag die Linke triumphierte, während bei Spaniens Sozialisten die gemäßigten Kräfte wieder die Oberhand gewannen.

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Nicht bei allen westeuropäischen Arbeiterparteien ticken die Uhren gleich: Versuchen die einen mit der Zeit mitzuhalten und überholten marxistischen Ballast abzuwerfen, drehen andere das Rad der Zeit zurück und beschwören die dogmatische Vergangenheit. So geschehen in Großbritannien, wo auf dem Labour-Parteitag die Linke triumphierte, während bei Spaniens Sozialisten die gemäßigten Kräfte wieder die Oberhand gewannen.

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Der Versuch des spanischen Sozialistenchefs Filipe Gonzales beim 28. Parteikongreß im Mai dieses Jahres, das Wort Marxismus aus dem Parteiprogramm zu streichen, war etwas zu voreilig gewesen. Auf dem linken Flügel des PSOE (Spanische Sozialistische Arbeiterpartei) um den Vizepräsidenten des spanischen Parlamentes, Luis Gömez Llorente, erhob eine Oppositionsgruppe lauten Protest. Sie witterte sozialdemokratischen Verrat, sah die Sozialrevolutionäre Tradition und Ausrichtung der Partei dahinschwinden.

Filipe Gonzäles, Pragmatiker und Realist, trat daraufhin zur Überraschung seiner Genossen als Generalsekretär zurück. Ein Ersatz konnte jedoch nicht gefunden werden, da der andalusische Parteichef beim Großteil seiner Genossen unumstritten war.

Kein Wunder also, daß Gonzäles beim außerordentlichen Parteitag vor zwei Wochen mit fliegenden Fahnen in seine Spitzenposition zurückkehren konnte. Mit einer überwältigenden Mehrheit von 85,9 Prozent der Delegiertenstimmen wurde er wieder zum Generalsekretär gewählt, während sein linker Gegenkandidat mit knapp sieben Prozent auf das Maß seiner wirklichen Stärke zu- reehtgestutzt wurde.

Die ganze Auseinandersetzung hat ideologische Hintergründe. Während Gonzäles und seine Anhänger einen Kurs weg vom dogmatischen Marxismus steuern und damit auch den Abstand zur kommunistischen Partei vergrößern wollten, versuchten die Linken der PSOE, sich als die besseren Marxisten im Vergleich zu den Kommunisten im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu profilieren. Die Taktik der Linken ging wohl darauf hinaus, eine Art Volksfrontbündnis vorzubereiten.

Sie sind damit beim außerordentlichen Parteitag nicht durchgekommen. Gelungen ist ihr allerdings, ein „Bad Godesberg” (weitgehende Entideologisierung) des spanischen Sozialismus zu verhindern. Das Wort „marxistisch” wurde zwar aus der Parteidefinition gestrichen, der Marxismus im Parteiprogramm aber als „Instrument der Analyse und der Umwandlung der gesellschaftlichen Realität” von der Partei akzeptiert.

Spaniens Sozialisten bleiben demnach eine typisch südeuropäische sozialistische Partei, die sich in nächster Zeit wohl nicht in Richtung Sozialdemokratie nordeuropäischen Typs entwickeln dürfte. Doch die linke Radikale Gruppe wurde jedenfalls in ihre Schranken gewiesen.

Ganz anders endete der Parteitag der britischen Labour Party vergangene Woche in Brighton: Dort haben die Radikalen um ihren Wortführer Anthony Wedgwood („Tony”) Benn mit Hilfe der Gewerkschaften einen Sieg errungen und den Gemäßigten um Parteichef James Callaghan das Heft aus der Hand genommen: weil die Sozialdemokratie, die jahrelang praktiziert worden wäre, gescheitert sei, spielte Tony Benn auf die schwere Labour-Wahlschlappe bei den Unterhauswahlen vom vergangenen Mai an.

Die ganze Attacke der Linken gegen den Parteichef und die Gemäßigten lief ironischerweise unter der Parole „Mehr Demokratie”. Doch steckte hinter der Kontroverse um die Parteistruktur-Reform, die nach außenhin vom rechten und linken Parteiflügel ausgetragen wurde, etwas anderes:

Es geht im Grunde genommen um die Frage, ob Labour sich für ein gemischtwirtschaftliches System in Großbritannien einsetzen soll - was die Gemäßigten vertreten - oder ob die Alternativ-Strategie der Linken das Richtige ist: Sie läuft auf mehr öffentliches Eigentum hinaus, bedeutet mehr Möglichkeiten der Intervention in die Wirtschaft des Landes, gleichzeitig auch verstärkte Importkontrollen. Freilich wäre sie damit auch gegen die Europäische Gemeinschaft gerichtet.

Der deutliche Linksdruck in Brighton kam zustande, weil die Radikalen und die Gewerkschaften als Helfershelfer durchgesetzt haben, daß die Macht von der Parteispitze zur Parteibasis verlagert wird: vom Blickwinkel kontinentaleuropäischer Sozialdemokraten nichts Außergewöhnliches, gäbe es da nicht die linken Aktivisten, die die Parteibasis beliebig manipulieren und für sich in Anspruch nehmen können.

Das „Mehr Demokratie” ist also letztlich ein Druckmittel, das der linke Flügel gegen die Gemäßigten einsetzen will - wohl auch dazu, um radikale Wirtschaftsreformen durchsetzen zu können. Der Parteitag stimmte jedenfalls schon einer Resolution zu, wonach alles, was die derzeitige Regierung wieder in den Privatbereich zurückführt, von einer künftigen Labourregierung wieder verstaatlicht werden soll. Und zwar ohne Entschädigung an den Enteig- neten…

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