6920629-1981_43_07.jpg
Digital In Arbeit

EineKoaKtion macht Geschichte

Werbung
Werbung
Werbung

„Wir können heute Geschichte machen", verspricht ein Flugblatt der sozial-liberalen Koalition, Neuling im Kräftespiel der britischen Politik, am Tag der Nachwahlen im Londoner Bezirk Croydon-Nord. Ein Traumresultat für die neue Koalition der Mitte bestätigt wenige Stunden später den ehrgeizigen Anspruch der Schrift:

Ein historisches Datum ist gesetzt, die politische Landschaft in Großbritannien hat sich grundle-

gend verändert; die Polarität der beiden Großen, jahrzehntelang Garant für die Stabilität des Systems, ist gebrochen, die Machtbalance verschoben. Welchen Lauf immer die Geschichte bis zu den nächsten Wahlen in mehr als zwei Jahren nehmen wird, die Dritte Kraft hat sich etabliert.

Nachwahlen spielen in britischer Politik kaum eine besondere Rolle, sind eher ein temporärer Gradmesser für Anhang oder Ablehnung der Regierung. Zudem korrigieren Gesamtwahlen in der Folgezeit, was die jeweilige Opposition in der Etappe gewonnen hat: Wilsons Labourregierung hat in der Periode 1969-1970 zwölf Sitze im Parlament an die Konservativen abgeben müssen, konnte schließlich sechs davon beim nächsten Urnengang zurückgewinnen.

Premier Heath, letzter Tory-Premier, hat einen Sitz an die Arbeiterpartei verloren, doch der Verlust wurde bei den Wahlen

1974 wieder gutgemacht. Die Wil-son-Callaghan-Regierung (1974— 1979) konnte bei den letzten Wahlen vier der im Laufe der Regierungszeit abgezweigten sechs Bezirke erneut gewinnen.

In Croydon freilich ist diesem Hin und Her ein Ende gemacht. Zum ersten Mal konnten Sozialdemokraten in Handreichung mit den Liberalen einen Abgeordneten in Westminster gewinnen, der unter der neuen Flagge seinen Wahlkampf geführt hat. Was sonst im Parlament sitzt und für die Mitteallianz stimmt, gehört entweder den Liberalen an, oder hat sich um die kollektive Führerschaft der Sozialdemokraten geschart: 20 ehemalige Labourabgeordnete und ein enttäuschter Tory.

Dabei ist der Sieger von Nord-croydon keineswegs eine besonders attraktive Figur. Pitt ist ins Parlament gewählt worden, nachdem er sich geweigert hat, einem Mitglied der SDP-Quadriga Platz zu machen. Dreimal ist Pitt bisher bei Urnengängen teilweise gehörig durchgefallen. Die Wähler haben dem liberalen Kandidaten mit eindrücklicher Mehrheit ihre Stimme gegeben, aber die Sozialdemokraten gemeint.

Zerstrittene Tories

Croydon ist kein guter Platz für Liberale, nur die Hilfe der Sozialdemokraten machte das Unmögliche möglich. Das Fußvolk der

Allianz witzelt: An diesem Tag hätte es jedermann geschafft, sofern er nur von den in der Koalition Vereinten aufgestellt worden ist.

Bei nächster Gelegenheit wird dies anders. Ende November küren die Bewohner von Crosby ihren Abgeordneten im Parlament. In der Hochburg der Konservativen (Vorsprung fast 20.000 Stimmen) kämpft Shirley Williams als Kandidat für die Mitte. Sie hofft, aus der allgemeinen Tory-Müdig-keit, der eigenen Anziehungskraft und dem Elan des neuen politischen Gebildes Kapital zu schlagen. Eine bessere Kombination kann es wirklich nicht geben, um die Vorherrschaft der Konservativen in diesem Wahlbezirk zu brechen.

Croydon ist ein Meilenstein auf dem Weg des Bundes in die Downing Street. Ein Auftrieb nicht nur für die enthusiastischen Neulinge, die im Hafen der Sozialdemokraten gelandet sind.

Die Allianz ist gefestigt, Schwierigkeiten sind beseitigt, die verständlicherweise die Aufstellung von aussichtsreichsten Kandidaten mit sich bringt: Halbe-halbe ist der Schlüssel, dem sich mancher etablierte Liberale zu beugen hat. Der stürmisch auf das Zusammengehen mit den Sozialdemokraten drängende Führer der Liberalen, David Steel, besitzt nun die Basis, um den immer noch vorhandenen Widerstand orthodoxer und unbelehrbarer Liberaler zu brechen.

Die Niederlage für die Oppositions- und die Regierungspartei in Croydon geht an den Nerv. Die Tories machten sich ohnedies keine Illusionen, ihren Sitz zu behalten. Die Halbzeit in der Regierungsperiode ist gemeiniglich auch der Tiefpunkt an Popularität. Hohe Zinssätze, Bankrotte am laufenden Band und Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe sind unglückliche Voraussetzungen für die Verteidigung alter Positionen.

Entscheidend dürfte allerdings auch der Zwist von Befürwortern und Gegnern der monetaristi-schen Kur auf dem letzten Kongreß an der Niederlage mitgewirkt haben. Eine derart zerstrittene Parteienversammlung hat es in der letzten Tory-Geschichte si^ cherlich noch nicht gegeben.

Empfindlicher freilich wird die Oppositionspartei von der Niederlage getroffen. Der aufreibende Flügelkampf - hier die Gemäßigten, sofern sie in der Partei geblieben sind, da die streitbaren Linken um Tony Benn - hat die Partei zwei Jahre lang zerklüftet.

Foot vergeht das Lachen

Und Parteichef Michael Foot ist es mit Mühe auf dem diesjährigen Kongreß gelungen, die Differenzen zu überkleistern, die Glaubwürdigkeit an eine echte Alternative zu erneuern: Mit geringem Erfolg, wie die Einbuße von 50 Prozent der Stimmen in Croydon beweist.

Bis zum nächsten Urnengang auf nationaler Ebene ist noch viel Zeit. Genug, um Früchte der mo-netaristischen Heilungskur vorzuweisen, die Inflation dem Nullpunkt näherzubringen und die Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen, meinen die Tories. Doch sie haben aufgehört, die Sozialdemokraten als einen aussichtslosen Ableger von Labour zu belächeln. "Der Führer des Unterhauses, Francis Pym, warnt ernstlich, der Zuzug zur Mitte könnte sehr wohl der Partei von Michael Foot zugutekommen.

Die Frist scheint auch Foot ausreichend, üm die Streitigkeiten im eigenen Haus zu beseitigen und die Wahl für sich zu entscheiden. Nach den sensationellen Erfolgen der Koalition in Warrington (6. Juni 1981)-und in Nordcroydon vergeht ihm allerdings das Lachen des letztlich doch Triumphierenden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung