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Drohender Verfall

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Nach den letzten Meinungsumfragen in Großbritannien zu schließen, hat die Labourpartei geringfügig die Nase vorne. Dieser Vorsprung in der allgemeinen Beliebtheit ist freilich genau so wenig überzeugend wie der Sieg bei.den Nachwahlen in Glasgow. Dort wurde der Vorsprung an Mandaten zwar gehalten, aber der Stimmenanteil ging zurück.

Die wachsende allgemeine Unzufriedenheit mit den Konservativen in der Downing Street ließe eigentlich eine entscheidende Führung Callaghans, einen Erdrutsch zugunsten der Sozialisten erwarten. Dem ist aber nicht so und die große Oppositionspartei hat es sich selbst zuzuschreiben, daß sie sich nicht als echte Alternative für die von Thatcher enttäuschten Wählermassen anbietet. Interne Fehden und Machtkämpfe stürzen Labour in eine Existenzkrise.

Thatchers Schwierigkeiten waren vorauszusehen. Unpopuläre Maßnahmen, in aller Offenheit angekündigt, werden von jenen Erscheinungen begleitet, die im Gefolge der monetären Gesundungskur für die kranke britische Wirtschaft auftreten: Inflation und Bankzinsen in Rekordhöhe, Arbeitslosigkeit auf dem höchsten Stand seit den tristen dreißiger Jahren, die Gesamtproduktion stagnierend und die Exporte rückläufig, Firmenkonkurse an der Tagesordnung.

Man spricht von der schärfsten Krise bei Labour in der Nachkriegszeit. Gleichlautende Kassandrarufe ertönen vom linken und vom rechten Flügel: die Zukunft der Partei stehe auf dem Spiel! Nur verbinden sich damit nicht dieselben Vorstellungen. Die Zukunft welcher Partei? Einer marxistisch orientierten, wie sie den militanten Extremisten vorschwebt oder einer modernen Arbeiterpartei nach deutschen oder skandinavischem Zuschnitt?

Hinter den endlosen Quereleien um die Parteikonstitution verbirgt sich der Kampf um Macht und Einfluß. Die Linken erstreben eine Aufwertung des nationalen Exekutivkomitees, das sie dominieren und in welchem die Gewerkschaften ein Machtwort besitzen. Die gemäßigten in der Parlamentsfraktion wollen sich nicht in ihren Rechten beschneiden lassen. Die konstitutionellen Auseinandersetzungen sind nichts anderes als der Versuch, den Einfluß nach links zu verschieben.

Die Radikalen nennen es eine Verbreiterung der demokratischen Basis, eine breitere Kontrolle der Beschlüsse unter Einbeziehung des Fußvolkes. Die Parlamentarier sprechen geradeheraus von einer Linksverschwörung und einer Beschneidung ihrer verbrieften Rechte, einer Degradierung der gewählten Volksvertreter zu Marionetten. In den bisherigen Abstimmungen und vorläufigen Beschlüssen konnten beide Seiten Teilerfolge buchen, zufrieden ist damit allerdings niemand.

Erst beim nächsten Parteitag im kommenden September wird die endgültige Entscheidung darüber getroffen, ob sich die Parlamentarier einer Wiederwahl in ihrem Bezirk zu stellen haben, welche Gremien genau den Parteiführer küren und wer das Wahlmanifest erstellt.

Die Frage der Nachfolge für Callag-han ist zudem akut. Daß dieser Mann, dessen Fähigkeiten unbestritten sind, weiterhin die Parteiführung behält oder gar bei den nächsten Wahlen als Thatchers Gegenkandidat auftritt, ist ziemlich unwahrscheinlich. Callaghan ist immerhin mit dem Stigma des Verlierers der letzten Wahlen gekennzeichnet.

Als logischer Nachfolger stand bisher Denis Healey, Verteidigungsminister und Schatzkanzler in früheren Kabinetten fest. Seine Chancen schwinden allerdings in dem Maße, als der linke Flügel in der Partei an Einfluß gewinnt. Für ihn sind Politiker wie Peter Shore, mit dem Außenressort im Schattenkabinett betraut, und Industriesprecher John Silkin, attraktiver.

Im Hintergrund wartet schließlich Tony Benn auf seine große Zeit. An-tony Wedgwood Benn, der sein Adelsprädikat abgelegt hat, um sich einen proletarischen Anstrich zu geben, ist umstrittener Führer der Linken. Für den ehrgeizigen Benn ist der radikale Flügel ein Sprungbrett und deshalb mißtrauen ihm viele, ohne ihm besondere Fähigkeiten abzusprechen. In letzter Zeit hat sich Benn zum Gegner der europäischen Gemeinschaft entwik-kelt und er kämpft gegen die nukleare Rüstung Großbritanniens.

Neben der Auseinandersetzung um die Nachfolge ist die Partei in allen entscheidenden politischen Fragen zerstritten: in der Außenpolitik, in den Beziehungen zu Europa und der europäischen Gemeinschaft, in der Verteidigung.

Das antieuropäische Element bei Labour ist nicht so stark wie es aktiv ist. Trotz Thatchers unbestreitbarem Erfolg in Venedig hat Silkin zum Feldzug für den Austritt Englands aus der Gemeinschaft geblasen und dabei die Unterstützung Shores gefunden. Die Befürworter Europas sind schockiert: drei einstige Minister drohen mit Austritt, falls die Partei den Exodus in das Wahlprogramm aufnimmt.

Gleichfalls ein Rückfall in die fünfziger Jahre ist die Opposition gegen Großbritanniens atomare Rüstung. Damals ist es Parteiführer Gaitskell gelungen, Labour von der Verblendung zu befreien, England müsse auf sein nukleares Arsenal verzichten.

Heute versucht eine aggressive Linksgruppe, die Partei zu einseitigei nuklearer Abrüstung zu verpflichten und den Rückzug aus der Nato zu erreichen. Ein Protestmarsch gegen den voraussichtlichen Ankauf der in den USA produzierten „Cruise Missilles” (Marschflugkörper) hat dies kürzlich unterstrichen.

Angesichts der horrenden Differenzen hat ein Mitglied des Schattenkabinettes erklärt: „Wenn die Konferenz in diesem Jahr fehlschlägt, dann wird Labour nie mehr als eine einzige Partei regieren”. Verfall und Zersplitterung drohen.

Die Ankündigung von Roy Jenkins, Noch-Präsident der EG-Kommission in Brüssel, eine Zentrumspartei zu gründen, ist der erste Schritt in dieser Richtung, es könnte ein Ausweg für viele sein, die Labour von links bedroht sehen.

Die Zerwürfnisse der Partei sind nach der entscheidenden Niederlage im Mai 1979 offen ausgebrochen. Theoretisch hat die Labourpartei noch vier Jahre Zeit, um die Einheit zurückzugewinnen, sich zu konsolidieren - so wenig wahrscheinlich dies im Augenblick auch sein mag. Bis zu den nächsten Wahlen herrscht Thatcher unbestritten, unbeschadet der gegenwärtigen Schwierigkeiten.

Uber den Ausgang der nächsten Wahlen entscheidet nicht so sehr, in welchem Zustand sich Labour dann präsentiert, sondern ob Thatcher mit ihrem einschneidenden Programm Erfolg hat. Gelingt es ihr, die Inflation doch noch in den Griff zu bekommen, den Aufschwung der Wirtschaft einzuleiten, dann ist Labour um jede Chance gebracht, selbst wenn die chaotischen Zustände zur Zeit beseitigt werden können.

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