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Loyalität oder Ideologie?

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Kürzlich ist die Jahreskonferenz der britischen Labourpartei zu Ende gegangen, die zum erstenmal seit fünf Jahren wieder zu einer Zeit stattfand, in der gleichzeitig auch eine Labourregierung an der Macht ist. Wenn auch die absolute Parlamentsmehrheit der Partei nur drei Sitze beträgt, so sind sich doch alle politischen Beobachter darüber einig, daß dies bei der gegenwärtigen Zusammensetzung des Unterhauses völlig ausreichend ist, um dem Kabinett Wilson eine lange und tatkräftige Regierungszeit zu ermöglichen.

Abgesehen vom großen Block der Konservativen Partei, ist die restliche Opposition im Unterhaus in einer Weise aufgesplittert, daß sie kaum in der Lage ist, den Fortbestand der Labourregierung ernsthaft zu bedrohen, selbst wenn das ihr Ziel sein sollte, was weitgehend zu bezweifeln ist. Die Liberalen unter Jeremy Thorpe haben sich noch lange nicht von den Wunden erholt, die ihnen die Oktoberwahlen geschlagen haben. Weit davon entfernt, zu einer echten „dritten Kraft”, zur dritten Großpartei geworden zu sein, haben sie nicht nur Wählerstimmen und damit zwei kostbare Sitze im Unterhaus verloren, sondern auch den Alleinanspruch als

Alternative zu Labour und TCfries; die schottischen und walisischen Nationalisten, deren Parlamenten fraktionen eine Art von lockerer strategischer Verbindung anstreben, verfügen zusammen über einen Unterhaussitz mehr als die Liberalen, und wenn ihre Sympathien und Interessen überhaupt über das nationale Unabhängigkeitsstreben hinausgehen, dann tendieren sie zweifellos mehr zu Labour als zu den Konservativen. Und was diese schließlich selbst betrifft, so sind die durch Wahlniederlagen und Führungskrise hervorgerufenen internen Spannungen und Zweifel nicht geeignet, aus der Torypartei eine vitale und schlagkräftige Opposition zu machen.

Die Labour hat in den letzten Jahren an Stärke vor allem dadurch gewonnen, daß sie sich wieder mehr und mehr ihres grundlegenden, traditionellen Hintergrunds entsannen hat, nämlich der Gewerkschaftsbewegung, die heute der einzige große und solide Machtblock ist, den es in Großbritannien gibt.

Aber diese wiedergefundene enge Anlehnung der parlamentarischen Labourpartei an die Gewerkschaftsbewegung birgt eine ganze Reihe von Gefahren in sich, Gefahren, deren sich auch ein gewiegter Politiker wie Premierminister Wilson durchaus bewußt ist, weshalb er auch in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre aktiv bemüht war, diesen Trend zu vermeiden. Aber das innenpolitische Ungeschick der Tories, das in den Jahren zwischen 1970 und 1973 eine Etablierung der politischen Macht der Gewerkschaften in immer größerem Ausmaß ermöglichte, ließ dann auch Harold Wilson keine andere Wahl mehr.

Die erwähnten Gefahren sind nun natürlich die eines Machtkampfs innerhalb der Labour-Partei in dem unausweichlichen Konflikt zwischen parlamentarischer Demokratie auf der einen Seite und jener Demokratie, die der internen Struktur der Labourpartei immanent ist, auf der anderen.

Die Tatsachen sind einfach genug: die Labourpartei besteht, grob gesprochen, aus zwei Teilen, nämlich aus der Parteiexekutive, die auf der Jahreskonferenz gewählt wird, sowie aus der Parlamentsfraktion und der Regierung. Der Parteiverfassung zufolge, wird die offizielle Parteipolitik von der Jahreskonferenz bestimmt, die neben der Wahl der Parteiexekutive über Annahme oder Ablehnung von Hunderten von Resolutionen entscheidet. Zu den für die Labour-Partei oft recht peinlichen Zusammenstößen kommt es nun, wenn die Exekutive, die unvermeidlich zum Organ der viel weiter links stehenden Elemente in Partei und Gewerkschaftsbewegung wird, akute Meinungsverschiedenheit mit dem Labourkabinett bat, dessen Mitglieder gleichzeitig auch Mitglieder der Parteiexekutive sind.

Harold Wilson hat die Vormachtstellung seiner Regierung und damit der Politik der Mitte in den letzten Wochen mit Energie und auch mit Erfolg bestätigt. Der extreme linke

Flügel der Labourpartei wurde einmal mehr in seine Schranken verwiesen, in der Zusammensetzung der neuen Parteiexekutive ebenso wie in der Gewerkschaftsbewegung. Aber der Sieg der Mitte war knapp und schwer erfochten, die Labourextre- misten haben eine Schlacht, aber nicht den Krieg verloren, und wenn sie in den nächsten Monaten und Jahren nicht streng in Zaum gehalten werden können, so könnte dies nicht nur die Labourpartei, sondern das ganze sozialistisch regierte Großbritannien in eine höchst gefährliche Krise stürzen.

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