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Strafklausel gegen wilde Streiks?

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Niemand rechnet damit, daß die augenblicklichen Besprechungen zwischen der Regierung und den Gewerkschaftsführern zu einem annehmbaren Kompromiß führen werden. Premierminister Wilson hält den jetzigen Gesetzentwurf, der unter anderem Strafen im Fall von Verstößen vorsieht, für das unerläßliche Minimum, wenn ein Wiederaufschwung der britischen Wirtschaft ermöglicht werden soll. Er ist bereit, die betreffende Strafklausel durch etwas anderes zu ersetzen, wenn die Gewerkschaften einen Vorschlag machen können, der wirklich vor wilden Streiks und Verstößen gegen die Bestimmungen abschrecken würde. Aber sie haben dafür nicht mehr viel Zeit, und im übrigen sind sie auch dagegen, daß Streiks dem Gesetz unterworfen werden, Was heute nicht der Fall ist. Bei dieser Kontroverse zwischen Regierung und Gewerkschaften geht es aber nicht einfach um die Frage, ob oder wie Verstöße gegen Bestimmungen bestraft werden sollen, um Streiks einzuschränken. Es geht hier noch um etwas Ernsteres. In Großbritannien ist die Mehrzahl der Gewerkschaften mit der Labour-Partei — also der heutigen Regierungspartei — eng verbunden. Zahlungen der Gewerkschaften sind von wesentlicher Bedeutung für die Finanzen der Partei, ob sie nun an der Regierung ist oder in der Opposition; und nicht weniger wichtig sind natürlich die Stimmen der Gewerkschaftler. Viele von denen, die das politische Geschehen hierzulande aufmerksam und mit scharfem Blick verfolgen, sind der Meinung, wenn sich diese tiefgreifenden Differenzen zwischen der heutigen Labour-Regierung und den Gewerkschaften nicht überwinden lassen, werde es Wilson — oder irgendeinem andern Führer der Labour-Partei — vielleicht unmöglich sein, bis zum Frühjahr 1971 zu regieren, das heißt bis zu dem Zeitpunkt, da ohnehin Neuwahlen stattfinden müssen. Mit anderen Worten: der betreffende Gesetzentwurf könnte eine Spaltung in der gesamten Labour-Bewegung zur Folge haben, und damit verbände sich die Gefahr, daß die Partei auseinanderfällt. Sollte das geschehen, dann würde das Zweiparteiensystem verschwinden, das sich in Großbritannien bisher so bewährt und die Grundlage unserer politischen Stabilität gebildet hat.

So sieht die augenblickliche Lage aus, und für die Labour-Partei bedeutet dies natürlich ein sehr ernstes Problem. Der Premierminister scheint entschlossen zu sein, vor den Gewerkschaften nicht zu kapitulieren; und die Gewerkschaftsführer sind anscheinend ebenso entschlossen;, an ihrem Standpunkt festzuhalten, obwohl sie sich darüber im klaren sein müssen, daß die Konservativen, sollten sie an die Regierung kommen, noch viel härtere Gesetze einführen könnten als die von der jetzigen Regierung vorgesehenen. Die gesamte Labour-Bewegung sieht sich hier vor einem furchtbaren Dilemma.

Erschwerend tritt hinzu, daß einer der einflußreichsten K'abinettmini-ster, James Callaghan, nach weitverbreiteter Ansicht meint, man solle die Strafklausel fallen lassen, um eine Spaltung der Labour-Partei zu verhüten. Aber in ungefähr einem Monat wird die Vorlage im Unterhaus eingebracht, und dann muß sich Callaghan entscheiden, ob er dafür stimmen oder zurücktreten soll, es sei denn, der Premierminister entläßt ihn — womit er sich selbstverständlich den Zorn der Gewerkschaftsführer zuziehen würde.

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