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Das Oberhaus ist nicht zu unterschätzen und wurde kritisch

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Eine Kette von Pannen und Schlappen, die der Regierung Callaghan in letzter Zeit beschieden waren, lassen die unsichere Position des britischen Premiers deutlich erkennen. Noch vor einigen Monaten war es für Beobachter klar, daß die Labour Party den innenpolitischen gordischen Knoten leicht durch vorzeitige Neuwahlen durchschlagen hätte können, doch dürften die Dinge nunmehr - trotz der zu erwartenden Parteinahme der Gewerkschaften für Labour - etwas anders liegen.

Grund dafür ist zum Beispiel der wieder neu aufflackernde Kampf zwischen den Flügeln der Regierungspartei, der Callaghan (wie schon seinen Vorgänger Wilson) zwingt, sich immer öfter mit der innerparteilichen (linken und rechten) Opposition zu beschäftigen. Dazu kommt als gravierender Akzent, daß sich die parlamentarische Opposition konsolidiert hat: Nicht nur die Konservativen, auf deren letztem Parteitag insbesondere das „Friedensangebot“ des Ex-Premiers Heath an Margaret Thatcher äußerer Ausdruck einer neuen inneren Geschlossenheit war, sondern auch die Liberalen, deren neuer Führer Steel -im Gegensatz zu seinem Vorgänger Thorpe - seine grundsätzliche Bereitschaft zu einem Zusammengehen mit den Konservativen bekundet hat.

Diese parteiinternen Vorgänge finden ihre Bestätigung im politischen Leben Englancts. Anfang November konnten die Konservativen bei Nachwahlen in das Unterhaus der Labour Party zwei Sitze abnehmen, während sich im dritten Wahlkreis die Regierungspartei nur knapp behaupten konnte. Man darf derartige Zwischenwahlen, die regelmäßig als „Denkzettelwahlen“ bezeichnet werden, nicht überschätzen, aber es ist doch bemerkenswert, daß der Trend zu den Konservativen als „erdrutschartig“ bezeichnet wurde.

Zahlenmäßiger Niederschlag dieser Nachwahlen war ein erneutes Abbröckeln der Regierungspartei, deren Mehrheit im House of Commons auf eine Stimme geschmolzen ist (316 zu 315!); die Tatsache, daß sich unter den oppositionellen Abgeordneten auch eine geringe, aber entscheidende Anzahl von nationalistischen Parteienvertretern befindet, deren Abstimmungsverhalten von Fall zu Fall wechselt, ist derzeit noch der einzige Lichtblick für die Regierung Callaghan.

Die knappen Mehrheitsverhältnisse, wie in der Folge auch die Verunsicherung in den Reihen der Labour Party, haben in den letzten Tagen zu spektakulären Ereignissen im Unterhaus geführt. Die Regierung erlitt eine Niederlage mit ihrem Dock Work Regulation Bill, das den Dockarbeitern innerhalb einer Fünfmeilenzone ein Arbeitsmonopol verschafft hätte, weil zwei Labour-Abgeordnete Stimmenthaltung übten, was - verständlicherweise - vor allem den Chef der Transportarbeitergewerkschaft, Jack Jones, zu Wutausbrüchen trieb.

Ähnlich erging es zwei Tage später dem Public Lending Right Bill, das von einer Gruppe von konservativen und Labour-Hinterbänklern zu Fall gebracht wurde. Spektakuläre Szenen erlebte das Unterhaus schließlich, als in einer ungewöhnlich langen Debatte das Problem der kommunistischen Unterwanderung der Labour Party erörtert wurde. Hier erhielten die Konservativen, die eine Liste von zehn Namen vorgelegt hatten, Unterstützung vom rechten Flügel der Labour Party, der seinerseits eine Liste von 33 (!) Namen vorlegte.

Doch nicht nur die knappen und launenhaften Mehrheiten im Unterhaus nagen am Fundament der Regierungspartei, sondern auch das aus seinem Dornröschenschlaf erwachte Oberhaus. Die konservative Oberhausmehrheit, die regelmäßig auch von Liberalen und Labour-Peers wie auch von Unabhängigen unterstützt wird, brachte Callaghan seit September an die 100 Abstimmungsniederlagen bei.

Obwohl die zweite Kammer des britischen Parlaments im Laufe seiner Geschichte immer wieder Beschneidungen ihrer Kompetenzen hinnehmen mußte, zeigen die Lords beachtliche poütische Vitalität. Dem Oberhaus wurde 1911 zwar das Recht zum absoluten Veto genommen, doch erhielt es das Recht zu einem aufschiebenden Veto. Neben diesem für die Regierung Callaghan sehr unangenehmen Recht auf Verzögerung machen die Lords nun aber auch in zunehmendem Maße von der Möglichkeit Gebrauch, Abänderungen von Gesetzesvorlagen zu beschließen. So „entfernte“ das Oberhaus kürzlich aus einem sozialistischen Verstaatlichungsgesetz (Air-craft and Shipbuilding Industries Bill) die Schiffsreparaturfazilitäten, da diese nach Ansicht der Lords weiterhin einen Teil der Privatwirtschaft bilden sollen. Auch das bereits erwähnte Dockarbeitergesetz wurde indirekt von den Lords zu Fall gebracht, denn beim zweiten Abstimmungsgang im Unterhaus hatten es sich zwei Labour-Abgeordnete auf Grund der im Oberhaus vorgebrachten Argumente anders überlegt.

Die Lords begründen ihre kritischere und sorgfältigere Gangart vor allem mit den knappen Mehrheitsverhältnissen im Unterhaus: das Durchdrücken kontroversieller Gesetze mit hauchdünnen Mehrheiten entspricht keineswegs ihrer Vorstellung von fair-play. Außerdem weisen ihrer Meinung nach zahlreiche Gesetze durch wenig sorgfältige Behandlung im Unterhaus schwere Mängel auf.

Es verwundert also nicht, wenn sich die Labour Party (und insbesondere deren linker Flügel) auf das Oberhaus einzuschießen beginnt und an harten Tönen nicht spart. Man spricht von einer „Verschwörung“ und bezeichnet die Peers „als buntscheckige Kollektion von mittelalterlichen Baronen, politisch Gewesenen, Expremiermini-sterschoßhunden und Labour-Abtrünnigen“! Die Forderung nach Abschaffung des Oberhauses ist zu einem Hauptanliegen der britischen Linken geworden.

Diese Forderung ist ebenso unrealistisch wie unehrlich, da der Vorsitzende des House of Lords, der Konservative Lord Carrington, durchaus reformfreudig ist; ein vielversprechender Reformversuch während der Regierung Wilson wurde jedoch 1969 von dem zum linken Labour-Flügel zählenden Michael Foot zu Fall gebracht. Viele Beobachter können sich des Eindruckes nicht erwehren, daß die extreme Linke an der Beibehaltung des .Anachronismus“ interessiert ist, um auf diese Weise ihre Vorstellungen eher durchdrücken zu können. Eine Abschaffung des Oberhauses ist aber weder in der Bevölkerung noch bei den Experten, die ein gut funktionierendes und ausgewogenes Zweikammersystem verlangen, populär.

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