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ANEURIN BEVAN / ERLOSCHENER FEUERBRAND

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Als der Tod nach ihm, dem glänzenden, widerspruchsreichen Arbeiterführer, griff, war von der legendären Kraftgestalt nur noch ein geschwächter Schatten übrig. Won der schweren Unterleibskrankheit hat er sich nicht mehr erholt. In der Erinnerung lebt er weiter als der letzte große Redner des britischen Unterhauses, als der „Feuerbrand“, wie ihn seine Landsleute nannten. Im modernen Sozialismus hat es kaum einen Mann gegeben, der sich so nach der Ausübung der Macht verzehrte und dem Wesen nach so zu ihr berufen war. Mit dem geröteten Gesicht unter dem weißen Haar erinnerte er an David Lloyd George, dem er ähnelte, aber so wenig glich. Bevan dachte nämlich mehr. Seine brillanten Wortbildungen, die intellektuelle und mehr noch die gefühlsmäßige Durchdringung der politischen Probleme hatten ihm dutzendemal den Beifall des Hauses eingebracht und dutzendemal seine eigenen Parteifreunde erbittert. Sie nannten ihn „Enfant terrible“.

Der stellvertretende Vorsitzende der britischen Labour Party und Außenminister im „Schattenkabinett“ Gaitskells kam 1897 in Wales zur Welt. Die Kohlenhalden, die schmalbrüstigen, rußgeschwärzten Häuser, in denen die Tuberkulose wütete, bestimmten seine Kindheit. Mit 13 Jahren schon arbeitete er unter Tag. Er brauchte nicht erst aus Charles Dickens die sozialkritische Bitterkeit herauszudestillieren, er wurde mit ihr aufgezogen. Bevans Reifejahre standen im Zeichen der großen Krise des englischen Kohlenbergbaues nach dem ersten Weltkrieg. Die Bitterkeit seines Radikalismus entsprang dieser Erfahrung. Zeitlebens sprach er von dem Generalstreik des Jahres 1926. Karl Marx in die Sprache des Puritanismus übertragen, das erklärt seine Anziehungskraft auf die englischen Arbeiter. 1929 sandte ihn der Bergarbeiterwahlkreis Ebb Vale in die Wohlerzogenheit des Parlaments, wo er fortan die Abgeordneten schockierte und entflammte.

Im Laufe weniger Jahre wandelte sich Bevan aber in dieser „Schule der Nation“ zum Labour-Intellektuellen, der die Materie beherrschte und in geschliffene Sätze faßte. In den gläubigen Hörern rief er immer wieder, wenn auch nur kurz, das Heimweh an die frühen, rauhen Zeiten der Arbeiterbewegung wach, packte sie aber auch bei ihrer religiösen methodistischen Tradition. Es kom.te ihm aber passieren, was freilich im Unterhaus undenkbar ist, daß er im Eifer seiner Sozialpolitik seine Gegner etwa als „Ungeziefer“ bezeichnete.

1944 wurde Bevan in die Labour-Exekutive gewählt, wurde Gesundheitsminister, Wohn-bauminister. 27 Sozialgesetze tragen seine Unterschrift, die den Grundstein zum kostspieligsten Experiment in Englands neuerer Geschichte, zum perfekten Wohlfahrtsstaat, legen sollten. 1951 trat er aus der Regierung aus, weil er bei deren Umbildung durch Attlee bewußt übergangen worden war. Er führte noch manchen heftigen Strauß mit seiner eigenen Partei. Jahrelang stand er am Rande des Ausschlusses. Er war aber nun herausgewachsen aus der Toga des Volkstribunen. Erkannte er doch auch, nunmehr fast 60 Jahre alt, daß der Sozialismus alter Prägung nicht die Lehre ist, die bei der heutigen Wählergesellschaft Erfolg verspricht. Diese Erkenntnis hat ihm viel Selbstüberwindung gekostet. Mit Edmund Burke, dem großen Konservativen, glaubte er schließlich selbst, daß die Quelle politischen Unglücks eher in der menschlichen Natur als in den Mängeln der gesellschaftlichen Einrichtungen liege. In glücklicher Ehe lebte er mit der Labour-Abgeordneten Jennie Lee. Auf seiner Farht in Buckinghamshire empfing er gerne Gäste, bezauberte sie durch seinen Charme, durch sein reiches Wissen. Er plauderte gerne über moderne Malerei, griff immer wieder zu Chesterton, den er liebte. Schon in den letzten Jahren wurde er in jeder schweren Krise von Krankheit erfaßt. Den Schlußstrich hat nun der Tod gezogen. f. s.

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